Telematik in der Kfz-Versicherung: Status quo, Daten und Ökosysteme

Ein wenig hat man das Gefühl, das Thema Telematik nimmt wieder an Fahrt auf. Lang schon ist die Branche an dem Thema dran und den Piloten längst entwachsen. Die Telematik ist aber noch lange nicht da, wo sie sein könnte und auch die Akzeptanz bei den Kunden könnte an der ein oder anderen Stelle höher sein. Ein weiterer Schmerzpunkt sind die Daten. Im Beitrag geben wir einen Einblick in die aktuellen Herausforderungen der Telematik-Tarife, die im Rahmen der Fachkonferenz „Telematik in der Kraftfahrtversicherung" Anfang Mai dieses Jahres diskutiert wurden.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Schaden & Leistung
Themen:
Telematik Schaden-/Leistungsmanagement Kfz-Versicherung
Telematik in der Kfz-Versicherung: Status quo, Daten und Ökosysteme

Ein Blick in aktuelle Studien

Die Grundlage für digitale Versicherungsprodukte sind Daten. Doch die muss man erst einmal haben und die Frage, wie man an diese schnell und einfach kommt, ist bis heute noch nicht befriedigend geklärt. Klar im Vorteil sind an der Stelle OEMs (Fahrzeughersteller) wie Tesla, die Zugriff auf die Fahrzeugdaten haben und eigene Versicherungslösungen anbieten wollen.

Die Bereitschaft Fahrzeugdaten zu teilen, steigt bei den Versicherungsnehmern. Das hat die Porsche Consulting GmbH in einer Studie ermittelt, berichtete Dr. Henning Dröge, Associate Partner Insurance. Auch das Thema Datenschutz entwickelt sich immer mehr zum Hygienefaktor. Datenbasierte Versicherungsmehrleistungen stellen für ein Drittel der Befragten einen Wechselgrund dar. Aber auch die datenbasierte Schadenabwicklung stieß bei einem Großteil der Befragten auf eine positive Reaktion: Sie messen dieser eine höhere Bedeutung zu als der individuellen Tarifierung Wer jetzt denkt, dass die Zustimmung hier nur unter den jungen Menschen besonders hoch war, täuscht, denn immerhin 76 Prozent der über 60-Jährigen halten datenbasierte Versicherungslösungen für relevant. Zudem hat die Studie herausgefunden, dass der Vertrieb von datenbasierten Produkten auch über traditionelle Offline-Kanäle funktioniert. Die Studienmacher vermuten, dass der persönliche Kontakt das Vertrauen zur Datenfreigabe fördert.

Mobilitätsökosysteme – Zukunftsmusik oder Realität?

Man hört und liest es immer wieder – die Versicherer müssen in Ökosystemen denken und das gilt auch insbesondere für den Mobilitätsbereich. Hier sind Ökosysteme keine Zukunftsmusik mehr, sondern längst Realität. Dr. Evangelos Avramakis, Head Digital Ecosystems R&D am Swiss Re Institute bei der Swiss Re Management Ltdm, stellte die hyperpersonalisierte Mobilitäts-Versicherung „Pay How You Move“ vor.  Versicherungsprodukte sollten nicht mehr objekt-, sondern subjektbezogen sein. Mit dem eigenen Auto zum Bahnhof, dort mit dem Zug in die nächste Großstadt und mit dem E-Roller dann zum eigentlichen Ziel – die Mobilität ist im Wandel und die Branche muss darauf reagieren. Dabei sollen die Versicherer sich aber nicht nur mit neuen Versicherungsprodukten positionieren, sondern gleich auch Orchestrator eines Mobilitätsökosystems werden. Player wie Whim, Gojek oder Grab machen es vor und zeigen, wie Ökosysteme auch auf dem deutschen Markt aussehen könnten.

Die Notwendigkeit des Denkens in Ökosystemen wurde auch in der Podiumsdiskussion aufgegriffen. Die Diskutanten waren sich einig, dass sich das Geschäftsmodell der Versicherer in Hinblick auf die Mobilität wandeln muss. Dabei betonten die Experten jedoch auch, dass viele der aktuell diskutierten Lösungen auf Metropolen zugeschnitten sind. Im ländlichen Raum wird auf lange Sicht das Auto weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Auch für diese Regionen ist es jedoch sicher spannend, passende Ökosysteme und Services zu entwickeln.

Beispiele aus der Praxis

Auch an Beispielen aus der Praxis mangelte es der Veranstaltung in diesem Jahr nicht. Markus Koch, Head Customer Operations bei der smile.direct Versicherungen gab einen Einblick in Autoversicherung via App. Das Schweizer Unternehmen setzt auf Versicherung ohne „Bla Bla“, die so einfach sein muss wie Netflix.

Via App kann der Kunde bestimmen, wie seine Autoversicherung aussehen soll. Neben vielfältigen Zahlungsmöglichkeiten hat er stets die Möglichkeit, flexibel zu kündigen. Zudem kann er bestimmen, dass er beispielsweise im Winter eine Vollkaskoversicherung hat und im Sommer dann problemlos in die Teilkasko wechseln. Wie die optimale App am Ende aussieht, wird sich zeigen, denn das Unternehmen ist stetig am Lernen, was der Kunde braucht und sich wünscht. In der Beta-Phase befindet sich aktuell der Drive Coach. Mit diesem will das Unternehmen sicheres Fahren belohnen. Das Ganze wird ebenfalls über eine App getrackt.

Rainer Stüssi, CMO bei der AutoMate Insurance AG, stellt die mit der Swiss Re gemeinsam entwickelte Coloride App vor. Das Züricher Unternehmen entwickelt für Broker, Versicherer und Automotives digitale Versicherungslösungen mittels einer webbasierten Plattform oder integrieren diese mittels Schnittstellen direkt in die Systemwelt der Partner.  Bei der gemeinsam entwickelten App gilt das Motto „Zahle wie und wo du fährst“. Wer wenig und vorausschauend fährt, kann so bis zu 30 Prozent der Versicherungsprämie sparen. Die App informiert nicht nur sehr genau über die eigenen Fahrten oder das Fahrverhalten, sondern setzt auch auf einen spielerischen Ansatz, um den Kunden zu einer besseren Fahrweise zu bewegen. Stüssi betonte zudem, dass entsprechende Angebote via App in der Schweiz noch recht rar gesät und auch allgemein Telematik-Angebote unterrepräsentiert sind.

Manfred Sommerlatte, Project Manager Connectivity and Business Development bei Aioi Nissay Dowa Insurance Company of Europe SE, berichtete über die Entstehung und Implementierung telematischer Versicherungsprodukte – im Speziellen die Telematik-Produkte der toyota insurance services. Der Verkauf der hauseigenen Versicherungslösungen erfolgt nahezu ausschließlich über die Toyota-Vertragspartner.

Die Telematik-Versicherung (UBI = Usage based Insurance) ist eine nutzungsabhängige Versicherung, die das individuelle Fahrverhalten berücksichtigt und bewertet (Beschleunigen, Bremsen, Lenken und die Geschwindigkeit).

Die Hybrid-Versicherung (FHI = Full Hybrid Insurance) berücksichtigt den Elektromodus, d. h. der im E-Modus gefahrene Anteil im Verhältnis zur insgesamt gefahrenen Strecke. Je höher der Anteil an rein elektrisch gefahrener Strecke ist, desto höher fällt der Folgebonus aus.

Für die Datenerfassung ist kein Smartphone nötig. Die aktuellen Toyota-Modelle haben ein Data Communication Module (DCM) verbaut. Im DCM werden Daten wie das Fahrverhalten (Beschleunigen oder Bremsen) gespeichert und mit Positionsdaten in unterschiedlichen Intervallen angereichert. Am Ende einer Fahrt, nach Abstellen des Motors, wird dieser Datensatz zu TME (Toyota Motor Europe, Brüssel) übertragen und anschließend in der MyT App dem Kunden zur Verfügung gestellt.

Sommerlatte betonte, dass sich die Telematik positiv auf die Neukundengewinnung auswirkt, auch wenn die Erfahrungswerte noch recht jung sind, da die Produkte in den letzten 1,5 Jahren auf den Markt kamen. Auch die Corona-Pandemie hat sich sicher stark auf die Schadenfrequenz ausgewirkt. Trotzdem ist das Fazit bislang positiv, da sich neue Kundenschnittstellen ergeben und zudem neue Services entstehen.

Dashcam DSGVO-konform

Dr. Mykolai Protsenko, Gruppenleiter Embedded Security am Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit (AISEC), stellte eine DSGVO-konforme Dashcam vor – die Privacy Black Box. Aktuelle Dashcam-Lösungen speichern die Aufnahmen maximal 30 Sekunden. Im Falle eines Unfalles werden die letzten 30 Sekunden dauerhaft gespeichert. Doch sind diese Systeme bei beispielsweise leichten Unfällen nicht zuverlässig und die Speicherung schlägt fehlt. Die Privacy Black Box soll hier Abhilfe schaffen: Die Daten werden an einen digitalen Treuhänder übermittelt und dort sechs Monate gespeichert. Dieser hat keinen Zugriff auf die Daten. Zudem sind diese durch eine digitale Signatur gegen Manipulationen geschützt. Anlassbezogen können die Daten mit einer Begründung durch den Fahrzeughalter beantragt werden. Zudem kann die Kamera auch nachts laufen und erfüllt somit eine Wächterschutzfunktion beim Parken.

Protsenko blickt positiv in die Zukunft: Die juristische Begutachtung durch die Universität Passau wurde abgeschlossen und die Dashcam ist DSGVO-konform. Somit steht einem europaweiten Einsatz nichts mehr im Wege. Zudem wurde bereits eine Kleinstserie an Prototypen in Auftrag gegeben. Der Pilot startet voraussichtlich im ersten Quartal 2022. Um die Dashcam marktreif zu machen, sind Partner jedoch herzlich willkommen.

Wer diese Einblicke spannend findet und mehr erfahren will, dem empfehlen wir die Teilnahme an der nächsten Fachkonferenz „Telematik in der Kraftfahrtversicherung - Auf dem Weg zur Smart Mobility“ am 4./5. Mai 2022.

 

Bild: #959414782 | gettyimages.de