Prävention und Produktgestaltung mit exakten Wetterdaten

Im Experteninterview mit Thomas Gehrke, Daniel Sticher und Fabian Ruhnau erhalten wir Einblicke in die technologischen Herausforderungen, die mit der Sammlung und Analyse von Wetterdaten verbunden sind.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Schaden & Leistung
Themen:
Schaden-/Leistungsmanagement Produktentwicklung
Prävention und Produktgestaltung mit exakten Wetterdaten

In der Landwirtschaft haben Wetterereignisse einen direkten Einfluss auf Ernteerträge und somit auf die finanzielle Stabilität von Betrieben. Die zunehmende Volatilität des Wetters, bedingt durch den Klimawandel, stellt sowohl Landwirte als auch Versicherer vor neue Herausforderungen. Eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung dieser Herausforderungen spielen präzise Wetterdaten, die nicht nur zur Schadenregulierung, sondern zunehmend auch zur Risikoprävention und Produktgestaltung herangezogen werden. Ein führendes Unternehmen in diesem Bereich ist die Vereinigte Hagelversicherung, die sich auf die Absicherung landwirtschaftlicher Risiken spezialisiert hat. Das Unternehmen setzt erfolgreich auf die Nutzung von Wetterdaten zum Zwecke der Prävention und Tarifgestaltung. Dazu arbeitet der Versicherer eng mit der Kachelmann GmbH zusammen. Gemeinsam entstand aus der Kooperation die Marke meteosol. Ziel der Kooperation ist es, Wetterprognosen so genau wie möglich zu machen. Dies gelingt durch den Aufbau eines dichten Messnetzes von Wetterstationen. 

In einem Experteninterview mit: Thomas Gehrke, Vorstand bei der Vereinigte Hagelversicherung, Daniel Sticher, Leitung Kommunikation und Marktentwicklung bei meteosol, und Fabian Ruhnau, Metrologe bei der Kachelmann GmbH, erhalten wir Einblicke in die technologischen Herausforderungen, die mit der Sammlung und Analyse von Wetterdaten verbunden sind. Es zeigt auf, wie diese Informationen genutzt werden, um die Resilienz landwirtschaftlicher Betriebe gegenüber dem Wandel des Klimas zu stärken. 

Interview Vereinigte Hagel

Inwieweit berücksichtigt die Vereinigte Hagelversicherung aktuell Wetterdaten bei der Produktgestaltung und Schadenprävention? 

Thomas Gehrke: Die Vereinigte Hagelversicherung nutzt Wetterdaten intensiv, um ihre Produkte zu gestalten und Schäden zu verhindern. Durch den Einsatz von kleinräumigen Wetterinformationen kann die Versicherung genauer vorhersagen, an welchen Orten und zu welchen Zeiten Ereignisse wie Stürme, Starkregen und Spätfrost wahrscheinlich auftreten werden. Diese Informationen sind entscheidend für die Entwicklung neuer Versicherungsprodukte und die Umsetzung von Maßnahmen zur Schadensprävention. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Diesen März zitterten die Obstbauern wegen des zu erwartenden Spätfrostes. Das Steinobst blüht 14 Tage früher als normal. In dieser Phase kann der Spätfrost zu einer erheblichen Schädigung führen. Durch genaue Prognosen sind die Bauern in der Lage, präventive Maßnahmen zu ergreifen und ihre Kulturen zu schützen.  

Gleichzeitig unterstützen genaue Prognosen auch dabei, den idealen Zeitpunkt für die Aussaat zu finden. 

Ist die Vereinigte Hagel ein Leuchtturm unter den Versicherern? Oder ist das Vorgehen bereits in der Branche angekommen? 

Thomas Gehrke: Die Vereinigte Hagel wird durchaus als Innovationsführer und Leuchtturm in der Branche angesehen, insbesondere durch unsere Zusammenarbeit mit der Kachelmann GmbH und die Nutzung eines umfangreichen Messnetzes. Das hebt uns von den Wettbewerbern ab, die nicht über ähnliche Expertise und Ressourcen verfügen.  

Beim Thema Prävention fällt das Schlagwort Predictive Analytics: Wie gut sind die Vorhersagen hier? 

Fabian Ruhnau: Die Genauigkeit der Vorhersagen hat sich dank lokaler Wetterstationen und fortgeschrittener Wettermodelle deutlich verbessert. Wettermodelle sind eigentlich relativ grobmaschig. Die Erde wird in ein Gitternetz unterteilt und bei vielen Modellen sind diese Zellen 20 mal 20 Kilometer groß. Das ist schon recht grob aufgelöst. Wir berechnen dagegen derzeit für die DACH-Region ein sehr feinmaschiges Wettermodell: Die Zellen sind hier einen Quadratkilometer groß. Theoretisch ist das für alle Regionen weltweit möglich. Durch weitere Verfahren wie Model Output Statistics werden die Vorhersagen dann noch feinmaschiger. Das erlaubt uns, sehr genaue und lokalisierte Punktvorhersagen zu machen. 

Gerade bei Wettererscheinungen wie Frost kann es auf wenigen Kilometern häufig sehr große Unterschiede geben. Wir sammeln kontinuierlich und lokal Daten. Dadurch lernen wir und werden mit unseren Vorhersagen präziser. Dabei ist auch der Standort der Wetterstation zu beachten. Steht die Station zu nah am Haus oder unter einem Baum, können Temperatur- und Regenmessungen stark beeinflusst werden. 

Schwieriger wird die Vorhersage bei lokalen Starkregen. Hier sind die Vorhersagen deutlich kurzfristiger mit nur wenigen Stunden möglich. Ereignisse wie großflächige Sturzfluten (Ahrtal) oder Winterstürme lassen sich deutlich langfristiger vorhersagen. Hier können wir von einem Zeithorizont von zwei bis vier Tagen ausgehen.  

Thomas Gehrke: Dass aber auch kurzfristig Prävention noch möglich ist, zeigt das Beispiel eines Hagelzugs in Nordhessen. Hier handelte es sich um eine Superzelle, die sich via Radar sehr gut verfolgen lässt. Herausfordernd wird es, die Daten richtig zu interpretieren und das können wir bis auf die Hagelkorngröße machen. Aber auch Windgeschwindigkeiten können wir sehr gut bestimmen.  

Wie kann die Prävention bei der Vorhersage von Wetterereignissen konkret aussehen? 

Fabian Ruhnau: Die Vereinigte Hagelversicherung nutzt Warnsysteme und Apps, um Landwirte über bevorstehende Wettergefahren zu informieren. Speziell bei der Vorhersage von starken Gewitterzellen können Landwirte durch frühzeitige Warnungen potenzielle Schäden minimieren, indem sie vorbereitende Maßnahmen ergreifen. 

Daniel Sticher: Wir nennen das gern das Wetter für die Hosentasche mit historischen und Ist-Daten. Ergänzend dazu möchte ich noch einmal die Bedeutung eines dichten Messnetzes und der Wetterdatenqualität hervorheben. Das Fehlen verlässlicher, lokal aufgelöster Daten kann die Vorhersagegenauigkeit beeinträchtigen. Daher ist die Investition in präzise Messverfahren und Technologien zentral für die Verbesserung der Präventionsmaßnahmen. 

Es gibt ja bereits mit Wetternetzen wie dem Deutschen Wetterdienst große Messnetze. In diesem Zusammenhang haben wir jedoch festgestellt, dass es am Ende an verlässlichen Wetterdaten für den kleinen, lokalen Raum mangelt, sowohl in Bezug auf Qualität als auch Quantität. So kam es zu dem Ausbau unseres kooperativen Messnetzes, das es uns nun ermöglicht, unserer Kundengruppe die Wetterparameter auf den einzelnen Ackerschlägen zur Verfügung zu stellen. 

Wetterdaten lassen sich aber auch bei der Produktgestaltung einbinden. So ist man mit präzisen Wetterdaten in der Lage, parametrische Versicherungen auf den Weg zu bringen. Wie weit sind Sie da? 

Thomas Gehrke: Parametrische Versicherungen, auch Indexversicherungen genannt – hier gibt es mehrere Begriffe, die am Ende alle das gleiche meinen. Parametrische Versicherungen basieren auf Wetterindizes und sind ein wichtiger Bestandteil des Portfolios der Vereinigten Hagelversicherung bei sog. Allmählichkeitsschäden. Durch die Nutzung präziser und lokal aufgelöster Wetterdaten können diese Produkte fair und transparent gestaltet werden. Die Daten ermöglichen es, klare Bedingungen für die Auszahlung festzulegen, basierend darauf, ob bestimmte Wetterparameter erreicht werden oder nicht. Mit FarmIndex haben wir bereits eine indexbasierte Dürreversicherung im Portfolio, die automatisch ausgezahlt wird, wenn die vereinbarten Indexwerte unterschritten werden. Aber wir arbeiten daran, dieses Produkt noch passgenauer weiterzuentwickeln. Dabei werden uns die lokalen Wetterinformationen weiterhelfen. Erste Forschungsergebnisse sind bereits sehr vielversprechend.  

Daniel Sticher: Die hohe Dichte unseres Netzwerks an Wetterstationen unterstützt uns bei der Schadenbilderkennung und Verifizierung. Die Möglichkeiten zur Erkennung und Verifizierung von Schäden auf kleinräumiger Ebene können durch den Einsatz von Wettermonitoring-Tools erheblich erweitert werden. Dadurch können wir äußerst genaue Aussagen zur Verifizierung treffen.  

Fabian Ruhnau: Die Verbesserung der Niederschlagsmessung und -verifikation ist ein wichtiges Thema, das angesprochen wurde. Früher bestand eine große Herausforderung darin, dass Wetterstationen weit voneinander entfernt waren, was zu ungenauen oder lückenhaften Daten führte. Herr Gehrke hat das schon erwähnt. Heutzutage werden jedoch zusätzliche Datenquellen, wie Radar und ein dichteres Messnetz, genutzt, um ein umfassenderes und genaueres Bild der Niederschlagsverteilung zu erhalten. Das Radar zeigt die Reflektivität des Niederschlags, die in Apps oft farblich dargestellt wird, wobei verschiedene Farben unterschiedliche Niederschlagsintensitäten repräsentieren. Obwohl diese Methode grundlegend ist, sind Radardaten anfällig für Fehler, besonders bei starkem Gewitter, Schneefall oder Hagel. 

Um die Genauigkeit zu verbessern, werden Kalibrierungsverfahren angewendet, und die Daten werden schnell nachkalibriert. Die Kalibrierung wird weiter durch die Abgleichung mit realen Messwerten aus dem Messnetz verbessert. Dieses Vorgehen ermöglicht eine präzise und flächendeckende Darstellung des Niederschlags. Es wurden Methoden entwickelt, die es ermöglichen, Niederschlagsdaten mit einer Auflösung von 250 mal 250 Metern zu analysieren, was fast einer punktgenauen Erfassung gleichkommt. Dies ist besonders für Landwirte von Vorteil, die nun genau erkennen können, wo in ihren Anbaugebieten in den letzten 30 Tagen Niederschlag gefallen ist, was wiederum für die Optimierung der Bewässerung von Bedeutung ist. Solche Fortschritte in der Niederschlagsverifikation helfen dabei, Diskrepanzen zwischen tatsächlichen Ereignissen und deren Analysen zu minimieren, wie zum Beispiel, wenn Starkregenereignisse in den Analysen nicht erfasst wurden. 

Und wie ist die Kundenakzeptanz bei parametrischen Versicherungen? 

Thomas Gehrke: In Deutschland ist die Nachfrage nach parametrischen Versicherungen gegen Dürreschäden verhalten. Für Landwirte sind diese Versicherungen oft nicht erschwinglich, weshalb der Staat durch Prämienunterstützungen eingreift. Während in einigen Bundesländern, wie Bayern, staatliche Unterstützungen für agrarische Mehrgefahrenversicherungen, speziell gegen Dürre, existieren, ist dies beispielsweise in Sachsen noch nicht der Fall. Die Prämien für Dürreversicherungen können bis zu sieben Prozent des Umsatzes betragen, was eine erhebliche finanzielle Belastung darstellt. Auf europäischer und weltweiter Ebene gibt es Modelle, bei denen der Staat bis zu 70 Prozent der Versicherungsprämien übernimmt, um eine resiliente Landwirtschaft zu fördern und die Existenz der Betriebe zu sichern. In Deutschland gestaltet sich die Situation jedoch anders, was zu einer verhaltenen Nachfrage nach solchen Versicherungen führt.  

Vielen Dank für das Interview!