Warum die Versicherungswirtschaft den Digital Designer braucht
Gerade erleben wir durch Covid-19 und die damit verbundenen Kontaktbeschränkungen eine unheimliche Beschleunigung der digitalen Transformation. Innerhalb weniger Tage sind aus fast allen geschäftlichen Terminen Video- oder Telefon-Konferenzen geworden, Schulen und Universitäten bieten nur noch E-Learning an. Konferenzen und Konzerte werden virtualisiert. Und viele Ladengeschäfte sind gezwungen, innerhalb kürzester Zeit ein E-Business-Angebot zu schaffen oder auszubauen. Ist es nicht bemerkenswert, dass die dafür notwendigen Technologien eigentlich schon lange bereit waren?
Aktuell werden etablierte und leicht zugängliche Lösungen genutzt
Bei der Bewältigung der aktuellen, krisenbedingten Alltagsprobleme spielt Cutting-Edge-Technologie kaum eine Rolle, stattdessen kommen gut etablierte, erprobte und leicht zugängliche Konsumenten-Lösungen zum Zuge – exemplarisch seien die Live-Konzerte genannt, die aus den Wohnzimmern der Künstler per Youtube oder Instagram übertragen wurden. Die Lösungen, die nun entstehen, folgen einem ganz unmittelbaren und kurzfristig drängenden Bedarf. Als Technik kommt zum Einsatz, was eben da ist. Und wir dürfen alle gespannt sein, wie viel davon über die Zeit der Ausnahmesituation hinweg erhalten bleibt.
Die digitale Transformation der Versicherungsbranche, die in den vergangenen circa 20 Jahren (seit dem Aufkommen des WorldWideWeb) betrieben wurde, hatte diesen unmittelbaren Druck nur selten. Stattdessen sah und sieht sich unsere Branche damit konfrontiert, dass sich durch die technologischen Veränderungen ein Raum der Möglichkeiten eröffnet. Da andere Branchen unter anderen Vorzeichen diesen Raum offenbar gut füllen können, entsteht ein Erwartungsdruck.
Kunden, Mitarbeiter und Führungskräfte fragen sich zurecht, warum ihre Versicherung nicht genauso schnell und kulant wie der Online-Versandhandel ist oder so elegant und einfach wie ein Smartphone. Aber solche Anforderungen entstehen nicht intrinsisch, aus den Versicherungsprodukten und -services heraus, sondern sie werden von außen hereingetragen und so bleibt es vage, was tatsächlich entscheidende Innovationen sind.
Versuche gab und gibt es reichlich, sowohl innerhalb der etablierten Unternehmen als auch von außen. Als Beispiel seien hier die vielen Apps und Web-Portale der Versicherer genannt, die oft hinter ihren Nutzungs-Erwartungen deutlich zurückgeblieben sind. Auch die anbieterübergreifenden elektronischen Vertragsordner, mit denen der Insurtech-Hype in Deutschland vor etwa fünf Jahren startete, haben den Markt nicht in der Weise aufgemischt, die seinerzeit (auch kurzfristig) prognostiziert wurde.
Fachwissen und Kundenbedürfnisse wichtiger als Technologie
Wenn wir in unserer Branche über die digitale Transformation sprechen, ist es immer sehr verlockend, nach dem allerneusten Trend zu schauen oder tief in die technischen Details einzutauchen. Beides ist auch langfristig wichtig und zu gegebener Zeit nützlich. Aber letztlich ist es fast nie der Technologie-Einsatz, der ein Geschäftsmodell hat groß werden lassen. Die Technologie ist ein Mittel zum Zweck. Natürlich nutzen Amazon, Alibaba, Tinder oder Netflix sehr gute Technologie, aber das ist nicht der Grund, der sie zum Erfolg geführt hat. Viel entscheidender für ihren Erfolg ist, dass sie den Bedarf ihrer (potentiellen) Kunden passend für den jeweiligen Nutzungskontext bedienen. Eine intime Kenntnis der Fachlichkeit und ein breites Verständnis für die Kundenbedürfnisse sind schnell wichtiger als das Technologie-Know-how.
Technologie ist nur ein Material, aus dem die Zukunft geformt wird
Ein weiterer verbreiteter Fallstrick liegt in der konservativen Eins-zu-eins-Übersetzung bestehender Produkte oder Prozesse in die neue Technologie. Dabei wird übersehen, dass so mancher Umweg nicht länger nötig ist. Um diese Umwege zu erkennen, braucht es dann etwas mehr Technologiewissen, vor allem aber wiederum tiefes Fachwissen. Denn um diesen Fallstricken zu entgehen, genügt es nicht, die bestehenden Prozesse und Produkte zu kennen, sondern es muss bekannt sein, warum sie so sind, wie sie sind.
Technologie ist nur ein Material, aus dem die Zukunft geformt wird. Ein erfolgreicher Gestaltungsprozess braucht viel mehr. Ein fachliches Domänenverständnis ist notwendig, um den bestehenden Handlungsrahmen nutzen und ausfüllen zu können. Nur aus einem profunden Verständnis der Kundenbedürfnisse heraus kann etwas Nützliches und Brauchbares entstehen.
In der physischen Welt fällt die Aufgabe, neue Produkte zu gestalten, den Produkt- und Industriedesignern zu. Interessanterweise gibt es ein vergleichbares Berufsbild für digitale Produkte bislang noch nicht. Teile der Aufgaben des Digital Designers finden sich jeweils bei Wirtschaftsinformatikern, Interface- und Interaction-Designern, Design Thinking Professionals und den verschiedenen IT-Architekten. Aber den eigentlich nötigen Querschnitt aus den verschiedenen Aufgabenbereichen haben sich höchstens einzelne Angehörige der jeweiligen Disziplinen durch eigene Weiterbildung oder Erfahrung erarbeitet.
Die Professionalisierung der Rolle des Digital Designers könnte ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur erfolgreichen Digitalen Transformation sein.
Dem neuen Berufsbild des „Digital Designers“ widmen wir eine eigene Prodcast-Folge, die Ende November 2020 veröffentlich werden wird.
Der Podcast Versicherung 360 ist ein Podcast der Versicherungsforen Leipzig. Bei den Versicherungsforen tummeln sich eine Menge Experten, die sich tagtäglich mit den Themen der Versicherungsbranche beschäftigen. Außerdem verfügen die Versicherungsforen über ein großes Expertennetzwerk, welches bereits auf unserem Fachblog für die Assekuranz oder bei Interviews auf unserem YouTube-Kanal zu Wort kommt.