Wie Krankenversicherungen dem Tarifwechsel entgegensteuern sollten

Im Beitrag geht es darum, wie man mit Hilfe von Algorithmen Kündigungswahrscheinlichkeiten identifizieren kann.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Produktmanagement
Themen:
Data Analytics Kundenmanagement
Wie Krankenversicherungen dem Tarifwechsel entgegensteuern sollten

Gehen oder Bleiben? Diese Frage stellen sich viele Versicherte, wenn ein Brief ihrer privaten Krankenversicherung eintrifft und Tariferhöhungen ankündigt. Im November 2021 veröffentlichte das wissenschaftliche Institut der PKV seine Kurzanalyse zur „Entwicklung der Prämien- und Beitragseinnahmen in PKV und GKV 2012 – 2022“. Darin geht hervor, dass die Beiträge der PKV im Jahr 2022 im Schnitt um 4,1% ansteigen werden – eine im Vergleich zu den Vorjahren überdurchschnittliche Steigerung, die große Wechselbewegungen nach sich ziehen wird. Denn schon geringere Steigerungen hatten erhebliche Konsequenzen: Im Jahr 2019 beantworteten 149.000 Privatversicherte in Deutschland die Frage nach Gehen oder Bleiben für sich mit dem Wechsel zu einem Wettbewerber. Bei einer durchschnittlichen Jahresprämie von etwa 3.000 Euro pro Versicherten entstehen den deutschen Versicherungen dadurch Verluste von etwa einer halben Milliarde Euro jährlich.

Dieser Wechseleffekt als Folge von Tarifanpassungen ist vielen Versicherungen längst bekannt. Eine Alternative für die Beitragserhöhung gibt es für sie dennoch nicht. Denn der demografische Wandel und die steigenden Kosten für medizinische Behandlungen führen auf Seiten der Versicherungen zu höheren Ausgaben.

Da die Neukundengewinnung zwischen fünf und 25-mal teurer als die Rückgewinnung von Kundinnen und Kunden ist, intervenieren Versicherungen. Um möglichst viele Versicherte vom Wechsel abzuhalten, kontaktieren sie diese, nachdem sie ihre Kündigung ausgesprochen haben. In großen Mengen verschicken Versicherungen Standardbriefe und sprechen ihre Kundinnen und Kunden telefonisch an. Und dennoch entstehen Wechselbewegungen in der oben genannten Höhe. Mit der Gießkanne Angebote zu verteilen, scheint also nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu führen.

Versicherte frühzeitig und individualisiert ansprechen

Doch wie kann die Kundenrückgewinnung erfolgreich sein? Nur dann, wenn Versicherte frühzeitig und individualisiert mit Angeboten angesprochen werden, die auf ihre persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Wie aber kann das gelingen, ohne Unsummen in Marketing und Vertrieb zu investieren?

Frühzeitig zu reagieren heißt, den Versicherten anzusprechen, noch bevor die Kündigung ausgesprochen wird. Auf Basis der Daten von zurückliegenden Abwanderungen können Marker identifiziert werden, welche auf eine baldige Kündigung hindeuten. So lässt sich für jede Kundin und jeden Kunden eine Wechselwahrscheinlichkeit berechnen. Auf diese Weise ist es möglich, Versicherte anzusprechen, noch bevor der Wechselgedanke in die Tat umgesetzt wird.

Kundenspezifisch zu reagieren bedeutet, auf jede Versicherte oder jeden Versicherten individualisiert einzugehen. Auch hier können Datenanalysen helfen: Welche Aspekte haben in der Vergangenheit zu einem Wechsel geführt? Welche Kundengruppen sind besonders anfällig für eine Kündigung? Mit dem Wissen über die Ursachen lassen sich individuelle Handlungsalternativen aufzeigen, die auf den jeweiligen Versicherten maßgeschneidert sind.

Dabei geht es nicht darum, dem Versicherten windige Versprechungen zu machen, sondern ihn und seine Bedürfnisse zu verstehen. Denn nur langfristig zufriedene Kundinnen und Kunden führen zu geringen Abwanderungsquoten. Es gilt, mit Fakten zu überzeugen: Im bestehenden Tarif sind Alterungsrückstellungen aufgebaut worden, die beim Wechsel zu einem neuen Versicherer ganz oder teilweise verloren gehen. Oft ist ein Tarifwechsel zudem von Leistungsverlusten begleitet. Hinzu kommt, dass Versicherte sich als Folge des Vertragsabschlusses einer erneuten Gesundheitsprüfung unterziehen müssen.

Die Tarifwechselprophylaxe als Werkzeug

Wie also kann die Implementierung solcher Datenanalysen aussehen, sodass sie zu einem nützlichen Instrument für die Kundenansprache werden?

Um Wechsel zu Wettbewerbern vorzubeugen, hat msg ein Werkzeug für Versicherungen entwickelt. Dieses setzt auf eine Analyse in unterschiedlich starken Detaillierungsgraden. Auf der obersten Ebene kann die Kosten- und Risikostruktur des Tarifs analysiert werden. Auf der Basis von Clusteralgorithmen wird die Gesamtmenge der Versicherten im Tarif in Teilgruppen gebrochen, die einander in Schaden- und Prämienhöhe sowie in Kündigungswahrscheinlichkeit und anderen Merkmalen ähnlich sind. In einer Detailansicht kann vom Cluster bis hin zum einzelnen Versicherten herunter gescrollt werden. Eine statistische Analyse basierend auf der Methode neuronaler Netzwerke bewertet die Eigenschaften jeder oder jedes Versicherten auf Basis der errechneten Kündigungswahrscheinlichkeiten. Insbesondere die Reaktion auf einen anstehenden Tarifwechsel kann so antizipiert werden. Der Algorithmus ist in der Lage, die Wichtigkeit bestimmter Tarifmerkmale für den Versicherten abzuleiten. Damit kann das System konkrete Handlungsalternativen nennen, wie ein Kunde mit hoher Kündigungswahrscheinlichkeit am besten anzusprechen ist.

Versicherungen gewinnen ihre Handlungsmacht zurück

Gehen oder Bleiben? Auf Basis von Datenanalysen können Versicherungen solche Gedanken beim Kunden antizipieren, noch bevor sie die Kündigung erreicht. Zusätzlich wird die Versicherung in die Lage versetzt, eine weitere Frage zu beantworten: Ziehen lassen oder halten? Mit den datengestützten Werkzeugen der Tarifwechselprophylaxe gewinnt eine Versicherung die Handlungsmacht über die Wechselbewegungen zurück.

 

Quellen

Wissenschaftliches Institut der PKV (2021). WIP-Kurzanalyse November 2021 – Entwicklung der Prämien- und Beitragseinnahmen in PKV und GKV 2021 – 2022.

http://www.wip-pkv.de/de/forschungsbereiche/detail/entwicklung-der-praemien-und-beitragseinnahmen-in-pkv-und-gkv-2012-2022.html

Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. (2019). PKV Zahlenbericht 2019. https://www.pkv.de/fileadmin/user_upload/PKV/c_Verband/PDF/2020-12_PKV-Zahlenbericht_2019.pdf abgerufen am 22.11.2021

Kuhlmann-Rhinow, I. (2019). Die Kosten für die Kundengewinnung steigen – wie Unternehmen trotzdem nachhaltig und effektiv wachsen können. HubSpot. https://blog.hubspot.de/service/kundengewinnung-durch-service abgerufen am 22.11.2021

Markus Volkmar
Markus Volkmar
Senior IT Consultant
msg
Markus Volkmar hat Psychologie, Statistik und Human Resource Management in Koblenz-Landau und Maastricht studiert und arbeitet heute als Senior IT Consultant für msg. Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen in Data Science und Data Warehousing in den Bereichen Insurance, Health und Public.