HealthTechs #1: Eine neue Ära für das Gesundheitswesen

In einer Blogreihe widmen wir uns intensiv den HealthTechs. Im ersten Beitrag werfen wir einen Blick auf den Status quo.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Strategie & Innovation
Themen:
HealthTech / E-Health Start-ups
HealthTechs #1: Eine neue Ära für das Gesundheitswesen

Doktor, ich habe Schmetterlinge im Bauch

An was denken sie, wenn sie nach Luca gefragt werden? Vielleicht an ein bekanntes Gesicht aus Schulzeiten? Ihre erste große Liebe und die Erinnerung an den wohl romantischsten ersten Kuss inmitten eines Sonnenblumenfeldes? Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass sie die Assoziationen der meisten Deutschen dieser Tage teilen, die den Namen „Luca“ hören. Es geht um die Luca-App. So begleitet uns diese zwar stets und verlässlich ins Restaurant oder Museum, aber hier von einer intimen Freundschaft zu sprechen, wäre wohl zu viel des Enthusiasmus für Technologie.

Covid-19 & der HealthTech-Boom

Das Beispiel zeigt aber, dass insbesondere während der anhaltenden Covid-19-Pandemie der Umgang mit digitalen Produkten, Technologien und Dienstleistungen in Beziehung mit Gesundheit zu einem zentralen und allgegenwärtigen Thema geworden ist. Die letzten zwei Jahre haben verdeutlicht, welch entscheidenden Einfluss die Fortschritte der Digitalisierung auf das effiziente Funktionieren des Gesundheitssystem und dessen Peripherie haben kann.  Einige der digitalen Dienste, die uns auch im Umgang mit der Pandemie unterstützt haben, können als HealthTechs bezeichnet werden.

Der internationale Markt für HealthTechs erlebte daher selbst in Relation zum Wachstum der letzten Dekade, einen merklichen Boom. Während für 2020 noch ein Umsatz des digitalen Gesundheitsmarkts von 200 Milliarden Dollar prognostiziert wurde, soll sich dessen jährlicher Umsatz bis 2025 verfünffachen.[1] Derartige Aussichten erzeugen erhöhtes Interesse bei Investoren und so verdreifachte sich die Finanzierungssumme im europäischen und US-amerikanischem HealthTech-Markt 2021 gegenüber dem Jahr 2019.[2] Auch wenn die Wachstumsdynamik in Deutschland schwächer als in den USA oder im asiatischen Raum ausfällt, lässt sich eine klare Tendenz zu digitalen Gesundheitsangeboten identifizieren. Auch die Krankenversicherer sind sich diesem Trend bewusst und so gründeten deutsche Private Krankenversicherungen den Venture Capital Fond „Healcapital“, der innovativen Ideen in Form europäischer HealthTechs durch eine Finanzierung zur Marktreife verhelfen soll. Zweifelsohne handelt es sich also um ein Thema mit vielen neuen Facetten. Je mehr die digitale Gesundheit in den Fokus rückt, desto mehr gewinnt sie an alltagspraktischer sowie finanzieller Relevanz. Grund genug für uns, sich dieses vielfältige Thema einmal genauer anzuschauen und einen Einblick in die Trends zu digitalen Gesundheitsanwendungen zu geben.

Der Grundstein ist gelegt

Die Covid-19-Pandemie ist jedoch keinesfalls der erste Anstoß zur Steigerung der Digitalisierung des Gesundheitssektors und der alleinige Auslöser für die wachsende Nachfrage nach digitalen Angeboten. Sie ist ein Katalysator für bereits länger bestehende Trends im Gesundheitswesen, die durch die Pandemie schlagartig an Relevanz gewannen.

Den Startschuss, für die nur langsam fortschreitenden Digitalisierungsbestrebungen der Bundesregierung, legte das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherungen im Jahr 2004. Mithilfe dieser Reform wurde die Entwicklung der Telematikinfrastruktur bestimmt, die die verlustfreie Kommunikation zwischen sämtlichen Teilnehmern der Gesundheitsbranche ermöglichen soll.

Die noch vagen Bestrebungen bekamen durch das Inkrafttreten des E-Health-Gesetz im Jahr 2016 eine klare Identität. So wurden Arztpraxen verpflichtet, sich an die mittlerweile bestehende Telematikinfrastruktur und die Funktionen der elektronischen Gesundheitskarte anzubinden, um eine baldige Einführung der elektronischen Patientenakte zu ermöglichen. Zudem wurden telemedizinische Angebote wie Videosprechstunden bei Ärzt:innen gesetzlich ermöglicht.

Das 2019 in Kraft getretene Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG) markierte einen weiteren entscheidenden Schritt in der Gestaltung des legislatorischen Rahmens für eine digitale Gesundheitsbranche. Damit wurden nicht nur Apotheken und Krankenhäuser zur Anbindung an die Telematikinfrastruktur verpflichtet. Ebenso erhielten Ärzt:innen damit die Möglichkeit, digitale Gesundheitsanwendungen an ihre Patient:innen zu verschreiben.

2020 folgte dann das Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG). Damit einher geht auch die Einführung der elektronischen Patientenakte, die die digitale Kommunikation zwischen Patient:innen und Ärzt:innen erleichtern soll. Medizinische Daten, wie Röntgenbilder, Befunde und Arztberichte, können von Ärzt:innen geteilt und aufgerufen werden. Außerdem sollen ab 2022 weitere Features wie der Impfpass, der Mutterpass oder das Zahnbonusheft in der elektronischen Patientenakte integriert werden.  

Die (stetige) Entwicklung des Begriffs HealthTech

Worum handelt es sich bei HealthTechs nun genau und deckt dieser Begriff sämtliche Innovationen rund um die Digitalisierung der Gesundheit ab?

Gemeinsam mit den Fortschritten der Informationstechnologien in den 1990-er Jahren entwickelte sich der Begriff „eHealth“ (electronic Health), der damals besonders für die Möglichkeiten der medizinischen Kommunikation über das populärer werdende Internet stand. Gemäß dem Bundesministerium für Gesundheit umfasst der Begriff vor allem „die Unterstützung, Betreuung und Behandlung von Patientinnen und Patienten unter der Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologie“.[3]

Dass der Gedanke von E-Health noch einiges mehr zu umfassen scheint, wird durch den Umstand verdeutlicht, dass verwandte Begrifflichkeiten hinzugekommen sind.  Als um das Jahr 2010 Smartphones zum ständigen Begleiter wurden, entstand der Begriff „mHealth“ (mobile Health). Bei mHealth stehen vor allem Fitness- und Gesundheitsangebote, unterstützt durch mobile Endgeräte, wie Smartphones, drahtlose Endgeräte bzw. Patientenüberwachungssysteme, im Vordergrund. Seit 2015 wurde zusätzlich „Digital Health“ als Überbegriff von mHealth prominent, der die Eigenverantwortung von Endkunden zur Gesunderhaltung mithilfe digitaler Anwendungen betont.[4]

Zu den bereits ohnehin zahlreichen Bezeichnungen kam vor einigen Jahren mit dem Begriff „HealthTechs“ ein weiterer hinzu. Die Begriffsverständnisse gehen hierzu noch weit auseinander.[5] Aufgrund der Breite des Begriffes lassen sich HealthTechs und Digital Health nur schwer unterscheiden. Im Allgemeinen umfassen HealthTechs die Überschneidung von Medizin und Technologie, HealthTechs gehen jedoch über „Digital Health“ hinaus. Während Digital Health sich auf digitale Anwendungen rund umEndnutzer:innen beschränkt, stellen HealthTechs einen Überbegriff dar, der sowohl jede Technologie als auch jede Anwendung innerhalb der medizinischen Versorgung und des Gesundheitssystems umfassen kann.[6]

Digitale Gesundheitsanwendungen – Einstieg in eine neue Produktwelt

Widmen wir uns nun den aktuellen Trends in der Praxis. Hier geht es vor allem um die konsumentenorientierten „Digital Health“-Anwendungen. Neben den Anwendungen rund um die elektronische Gesundheitskarte und elektronische Patientenakte (ePA)[7], nennt das Bundesgesundheitsministerium die sogenannten Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) als zentralen Bestandteil von Digital Health.[8] Dabei handelt es sich um eine Softwareanwendung – zumeist eine App, die auf digitaler Technologie beruht und einen medizinischen Effekt auf die Gesundheit der Anwender herbeiführt. Um die Erstattungsfähigkeit durch die Kostenträger zu gewährleisten, muss eine App als Medizinprodukt gemäß der CE-Kennzeichnung[9] in das Register der zugelassenen DiGAs aufgenommen werden. Infolge dieses Nachweises kann eine Anwendung im Rahmen der 2020 in Kraft getretenen DiGA-Verordnung von Ärzt:innen als „App auf Rezept“ verschrieben werden.

Die regulatorischen Anforderungen sind zum Schutz der Gesundheit sowie der persönlichen Daten der Patient:innen äußerst eng, sodass sich bisher nur ein Bruchteil der Digital Health Apps in Deutschland DiGA nennen können. Die Menge an nützlichen Gesundheitsapps geht also weit über das DiGA-Register hinaus. Auch die nicht zertifizierten Apps können von Patient:innen verschreibungsfrei und selbstständig genutzt werden. In Zukunft ist davon auszugehen, dass immer mehr Apps, beispielsweise rund um mentale Gesundheit oder physiotherapeutische Anwendungen, als offizielle Medizinprodukte anerkannt werden.

Versicherern ist zu empfehlen, auf dem Markt daher ständig nach neuen und vielversprechenden Anwendungen Ausschau zu halten. Durch die Finanzierung dieser können gegenüber konkurrierenden Wettbewerbern erhebliche Mehrwerte und einzigartige Angebote für Versicherungsnehmer geschaffen werden.

Neue Liebe rostet nicht

Im Gegensatz zu der Romanze mit der oder dem schüchternen Luca, die euch die ersten Schmetterlinge im Bauch schenkte, sind digitale Gesundheitsanwendungen gekommen, um zu bleiben. Welche Trends zukünftig den Markt beherrschen, lässt sich nur annäherungsweise prognostizieren.

In drei weiteren Beiträgen geben wir einen Einblick in die eng verbundenen Trends:

HealthTechs #2 – Trends in 2022: mentale Gesundheitsanwendungen

HealthTechs #3 –Trends in 2022: Prävention und Vorsorge

HealthTechs #4 - Trends in 2022: Rehabilitation und Nachsorge

 

Vielen Dank an unser New Players Network für den spannenden Einblick.

 

 

Quellen zum Beitrag:

[1] Roland Berger. (2020). Future of Health – Der Aufstieg der Gesundheitsplattformen. https://www.rolandberger.com/de/Insights/Publications/Future-of-Health-Der-Aufstieg-der-Gesundheitsplattformen.html

[2] https://www.svb.com/trends-insights/reports/healthcare-investments-and-exits

[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/e/e-health.html 

[4] Meister et al. (2017). Digital Health, Mobile Health und Co.- Wertschöpfung durch Digitalisierung und Datenverarbeitung. In: In Mario A. Pfannstiel, Patrick Da-Cruz, & Harald Mehlich (Hrsg.), Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen I. Springer Gabler.

[5] zur Übersicht verschiedener Begriffsverständnisse siehe: https://www.linkedin.com/pulse/what-healthtech-jorge-juan-fern%C3%A1ndez-garc%C3%ADa/?trk=public_profile_article_view 

[6] https://www.healthtechbase.org/overview/ 

[7] zum Artikel ePA siehe: https://www.versicherungsforen.net/vertrieb-kunde/epa-fort-oder-rueckschritt-fuer-das-gesundheitswesen 

[8] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/e/e-health.html 

[9] https://www.twobirds.com/de/in-focus/digitale-gesundheitsanwendungen-DiGA