Dauerbaustelle Regulatorik – aktuelle regulatorische Herausforderungen im Versicherungsvertrieb
Regulatorik
Immer wieder liest man, dass die Internetriesen Google, Amazon, Facebook und Apple, kurz GAFA, potentielle und vor allem mächtige Wettbewerber für die Assekuranz werden können. Einige Experten bezweifeln dies jedoch und sehen maximal an der Kundenschnittstelle Platz für die digitalen Großplayer. Der Zweifel ist begründet, denn zum einen sind die Margen, die in der Versicherungsbranche erwirtschaftet werden, nicht gerade üppig, zum anderen schlägt sich die Branche mit der Dauerbaustelle „Regulatorik“ rum.
Auf dem Erfahrungsaustausch „Aktuelle regulatorische Herausforderungen im Versicherungsvertrieb” trafen sich zum ersten Mal Experten aus dem Vertrieb, um die unterschiedlichen Herausforderungen für den Vertrieb und auch das Kundenmanagement zu diskutieren. Wie ist der Stand bei der IDD, was kommt mit dem Provisionsdeckel auf uns zu und wie wirkt sich das Ganze auf die Kundenbeziehung aus? Wir haben die Experten aus Wissenschaft und Praxis gefragt.
Prof. Dr. Matthias Beenken
Professor BWL, insbes. Versicherungswirtschaft, Fachhochschule Dortmund
Herr Prof. Beenken, die IDD ist in den deutschen Versicherungsunternehmen seit mehr als einem Jahr umgesetzt. Gibt es Ihrer Meinung nach trotzdem Baustellen, die der Nachbesserung bedürfen, und erwarten Sie erste Mängelrügen durch die BaFin?
Ja, es gibt, glaube ich, drei Bereiche, in denen die Versicherungsunternehmen prüfen sollten, ob sie dort die IDD schon sachgerecht umsetzen.
Erstens geht es um die Weiterbildung derjenigen Mitarbeiter/-innen, die im Vertrieb tätig sind. Die Definition „Vertrieb“ der Richtlinie IDD ist sehr weitgehend und erfasst auch die „Mitwirkung bei Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall“. Das interpretieren viele Versicherer dennoch bisher so, dass eigentlich nur im (Erst-)Verkauf tätige Kundendienst- und Außendienstmitarbeiter als Betroffene einzuordnen sind. Hier geht es um einen Kulturwandel, Versicherungen als Dienstleistungen zu verstehen, bei der alle Beteiligten aus- und weitergebildet sein müssen, selbst und gerade wenn die Dienstleistungen arbeitsteilig erbracht werden.
Zweitens sehe ich noch Handlungsbedarf bei der konfliktarmen Gestaltung von Vergütungs- und Anreizsystemen. Hierzu laufen meines Wissens bereits Prüfungen durch die BaFin. Ich höre dennoch weiterhin von Produktwettbewerben und anderen Anreizen, bei denen zumindest eine deutliche Gefahr besteht, dass der Vermittler beeinflusst wird, nicht immer das bestmögliche Interesse des Kunden zu verfolgen. Auch in diesem Fall geht es um einen Kulturwandel, zu verstehen, dass man Vertrieb nicht nur – zugespitzt ausgedrückt – durch Wedeln mit Schecks zur Arbeit motivieren kann.
Drittens wundere ich mich über die Umsetzung der Beratungspflichten, insbesondere wenn es um den Onlinevertrieb geht. Leider hat der deutsche Gesetzgeber die Unternehmen im Regen stehen lassen und die IDD nicht sachgerecht umgesetzt. Nun glauben viele Unternehmen, man könne mit einem einfachen Klick den Kunden einen Beratungs- und Dokumentationsverzicht bestätigen lassen und ist damit seine Pflichten los. Die IDD sieht das völlig anders. Sie spricht von Standards für den Vertrieb ohne Beratung, worunter sie die Befragung des Kunden nach seinen Wünschen und Bedürfnissen, ein passendes Angebot und eine objektive Begründung dazu meint, das Ganze in Textform und damit faktisch als Dokumentation zu übermitteln. Von einem Verzichtsrecht habe ich jedenfalls in der Richtlinie nichts gelesen. Nur die Beratung, die in der IDD klar als persönliche Empfehlung eines am besten zu Wünschen und Bedürfnissen passenden Angebotes definiert wird, kann unterbleiben, wenn der Kunde darüber informiert wird. Hier kann ich nur empfehlen, intelligentere Abschlussstrecken ohne Verzichte zu bauen, ehe es zu serienmäßigen Problemen kommt.
Auch hier kann man von einem Kulturwandel sprechen, in dem die Branche steht. Wirklich das Kundeninteresse und nicht das Absatzinteresse in den Mittelpunkt der Überlegungen zur Vertriebsgestaltung zu stellen, ist eine Herausforderung. Ich habe viel Verständnis für die Branche, dass ihr in den letzten zehn Jahren mehr als jemals zuvor an Regulatorik und an anderen, ungünstigen Entwicklungen zugemutet wurde und wird, ich nenne nur die Niedrigzinsen. Da würde man sich endlich mal wieder eine Ruhephase wünschen, um „einfach nur sein Geschäft zu machen“. Aber es war nicht alles gut, was früher war, gerade im Vertrieb. Davor wurden viele Augen lange verschlossen. Die IDD-Umsetzung bietet weiterhin die Chance, es jetzt besser zu machen. Ich bin zudem überzeugt, dass der Vertrieb dann auch endlich wieder attraktiv wird für den Nachwuchs.
Ina Biesel
Referentin, Verband öffentlicher Versicherer
Der Provisionsdeckel kommt. Was bedeutet das für die Versicherer?
Die Auswirkungen eines Provisionsdeckels lassen sich erst dann realistisch einschätzen, wenn der endgültige Gesetzesinhalt feststeht. Die damit einhergehende Abkehr von der Deregulierung würde aber einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand für die Unternehmen bedeuten. Diese Richtungsänderung erscheint unnötig, da die EU-Vertriebsrichtlinie IDD bereits umfangreiche Vorkehrungen für einen verbesserten Verbraucherschutz und zur Vermeidung von Fehlanreizen vorsieht. Die IDD und ihre delegierte Verordnung sollten zunächst evaluiert werden, bevor neue Maßnahmen ergriffen werden. Sofern der Gesetzgeber an seinem Vorhaben für eine Provisionsbegrenzung festhält, sollte eine angemessene Lösung gefunden werden, die sowohl der Lebensversicherung als auch der Restschuldversicherung gerecht wird.
Jochen Lieblang
Leiter Center of Business Excellence Digital, Cosmos Lebensversicherungs-AG
Wie geht die CosmosDirekt den Weg zwischen schneller sowie schlanker Erfüllung aller Vorgaben und konsequenter Kundenorientierung?
Unser klares Ziel ist die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben verbunden mit der Begeisterung unserer Kunden. Die Zufriedenheit mit den Produkten und Services ist die Grundlage dafür, dass Versicherungsschutz aktiv bei uns nachgefragt wird. Wir setzen daher bei der Produkt- und Serviceentwicklung sehr früh auf die Einbindung der Kundensicht. Dazu stehen uns einerseits wertvolle Erkenntnisse aus Kundenzufriedenheitsstudien und Umfragen zur Verfügung. Diese Ergebnisse bringen wir auch bei der Ableitung der notwendigen Maßnahmen aus rechtlichen Anforderungen mit ein. Weiterhin arbeiten wir in interdisziplinären Teams zusammen und richten den klaren Fokus – neben der rechtskonformen Umsetzung – auf möglichst große Einfachheit und Verständlichkeit für den Verbraucher. In der bestmöglichen Verbindung dieser beiden Eckpfeiler steckt der Erfolg.