IDD: Eins-zu-eins-Umsetzung wird nicht in allen Bereichen der Fall sein
Beenken
Das Thema IDD ist ein Dauerbrenner und erhitzt die Gemüter. In unserem Themendossier „Vertrieb“ im Januar haben wir ein spannendes Interview mit Prof. Dr. Matthias Beenken, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Dortmund, geführt. Im Interview spricht er über die Herausforderungen und Perspektiven der Vertriebsregulierung. Auf unserem Blog können Sie einen kurzen Auszug des Interviews lesen. Das komplette Interview steht interessierten Lesern jedoch als pdf-Download auf der Veranstaltungsseite der Fachkonferenz „Vertriebsmanagement“ zur Verfügung.
Prof. Dr. Matthias Beenken begleitet seit Jahren die Fachkonferenzen Vertriebsmanagement und Agenturberatung fachlich. Als Professor für BWL, insbes. Versicherungswirtschaft, an der Fachhochschule Dortmund, blickt er auf über 30 Jahre Erfahrung im Bereich des Versicherungsvertriebes zurück.
In der Fachpresse wird er regelmäßig als Experte zu Versicherungsvertriebs-Themen zitiert und interviewt.
Professor Beenken, nun stehen wir unmittelbar vor dem Ende der nationalen Umsetzungsfrist der IDD. Ist Ihrer Meinung nach der Guss in die nationale Gesetzgebung geglückt oder wo sehen Sie noch Nachbesserungsbedarf?
Die Bundesregierung behauptet, sie habe die IDD eins zu eins umgesetzt. Das ist tatsächlich nicht in allen Bereichen der Fall.
Beispiel Beratungspflichten: Die Bundesregierung hat hier im Wesentlichen an den bisherigen §§ 6, 61 VVG festgehalten, die eine allgemeine Befragungs-, Beratungs-, Begründungs- und Dokumentationspflicht vorschreiben. Eine Beratung ist aber im Fernabsatz und wohl auch oft im personengebundenen Vertrieb kaum bis gar nicht möglich und auch nicht immer erwünscht, jedenfalls wenn man die Begriffsdefinition der Beratung nach der IDD zugrunde legt. Denn danach ist eine Beratung eine persönliche Empfehlung, also gerade nicht eine standardisierte Empfehlung im Internet oder durch einen Telefonverkäufer, warum eine angebotene Versicherung am besten geeignet ist, die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden zu erfüllen. Das kann man nach meinem Verständnis wenn, dann nur von einem Makler verlangen, dass er den bestgeeigneten Rat gibt, also offensichtlich vorher sehr genau den Kunden befragt und anschließend den Markt sondiert haben muss. Für alle anderen Vertriebsformen wäre es sachgerecht gewesen, den Artikel 20 IDD eins zu eins in deutsches Recht zu übernehmen, wonach man zwar nicht beraten, aber doch in jedem Fall Fragen zu Wünschen und Bedürfnissen stellen und seinen Rat begründen muss, damit der Kunde versteht, was er abschließt. Das kann man im Fernabsatz wie im persönlichen Verkauf leisten.
Nun gibt es aber für den Fernabsatz ein erleichtertes Verzichtsrecht, statt in Schrift- kann der Kunde nun in Textform verzichten. Für den Versicherer bzw. den Vermittler bedeutet das aber nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder tut er im Fernabsatz so, als würde er beraten, ohne den Anforderungen der IDD an eine Beratung gerecht werden zu können. Oder er bietet dem Kunden standardmäßig einen Verzicht an, verstößt damit aber gegen die Pflicht nach Art. 20 IDD, wenigstens den Kunden zu befragen und den Rat – auch in Textform – zu begründen, denn das deutsche Verzichtsrecht wirkt auch auf die Frage-, Begründungs- und Dokumentationspflicht. Die Bundesregierung hat damit eine mindestens dem Fernabsatz nicht gerecht werdende Rechtsvorgabe gemacht.
Aber es gibt auch andere Probleme in der Umsetzung. Beispielsweise wurde versäumt, die Vorschriften zum Produktfreigabeverfahren nicht nur auf Versicherer nach § 23 VAG n.F., sondern auch auf Vermittler auszudehnen, die eigenständig Produkte konzipieren. So verlangt es jedenfalls Artikel 25 IDD und auch der begleitende Delegierte Rechtsakt. Betroffene Vermittler rätseln bislang, wie sie damit umgehen sollen – ob sie ohne Rechtsvorgabe ein eigenständiges Produktgenehmigungsverfahren einführen, das von keiner Aufsichtsbehörde überwacht und abgenommen wird, oder ob sie ihr intimes Markt- und Produktwissen einem Versicherer preisgeben müssen, damit der seine VAG-5 Pflicht erfüllen kann. Das sind immerhin Geschäftsgeheimnisse, die einen hohen wirtschaftlichen Wert für den Vermittler haben.
Die Aufsicht ist ohnehin ein trauriges Kapitel nicht erst dieser IDD-Umsetzung, sondern im Kern auch schon der vorhergehenden Umsetzung der alten Vermittlerrichtlinie. Da gibt es die BaFin-Aufsicht über Versicherer und deren erlaubnisfreie, gebundene Vertreter auf der einen und die IHK-Aufsicht über die Vermittler mit Gewerbeerlaubnis auf der anderen Seite. Die IHK besteht in Wahrheit aus rund 80 selbstständigen Körperschaften, die sich in Zweifelsfragen auf 16 Landesaufsichten berufen. Darüber ist Schluss. Mit anderen Worten, Deutschland leistet sich die BaFin plus 16 Landesaufsichten, also 17 zuständige Behörden. Während man bei der BaFin noch davon ausgehen kann, dass sie eine hinreichende Kompetenz in Sachen Vertriebsaufsicht aufzubauen in der Lage ist, muss man bei rund 80 Kammern, die teilweise nur sehr gelegentlich neben vielen anderen Branchen auch mit Versicherungsvermittlern zu tun haben, berechtigte Zweifel anmelden. Erst recht gilt das für die Landesaufsichtsbehörden, meist die Wirtschaftsministerien. Eine Einheitlichkeit, Verlässlichkeit und hohe Kompetenz in der Beaufsichtigung der Vermittler und damit eine Wettbewerbsgerechtigkeit – in der EU unter dem Stichwort „Level playing field“ ein hoher Wert – ist damit nicht zu erwarten. Dafür liefern mehr als zehn Jahre Erfahrung mit diesem System ausreichend Belege.