Branchenblick: KI und selbstlernende Systeme in Versicherungen

In Beitrag fassen wir einige Insights der Fachkonferenz KI und selbstlernende Systeme zusammen.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Analytik & IT
Themen:
KI / AI / künstliche Intelligenz
Branchenblick: KI und selbstlernende Systeme in Versicherungen

Bei der Fachkonferenz KI und selbstlernende Systeme in Versicherungen gab es einige spannende Einblick aus Praxis und Wissenschaft:

  • So betonte Martin Pluschke, Leiter Anwendungsentwicklung bei der NÜRNBERGER Lebensversicherung AG, wie wichtig es für klein- und mittelständische Unternehmen sei, bei KI-Projekten zu kooperieren.
  • Lorenz Schmidt, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin, zeigte, wie durch Machine Learning das Basisrisiko bei indexbasierten Versicherungen verringert werden kann.
  • Gerhard Hausmann, Leitender Architekt für KI-Systeme, Barmenia Krankenversicherung AG, erläuterte die lange Historie von KI bei der Barmenia und wie Data Science, Deep Learning oder Sprachmodelle bei dem Versicherer zum Einsatz kommen.

Im Beitrag geben wir einen Einblick in diese und weitere KI-Impulse der Fachkonferenz.

KI-Projekte sind auch Kooperations-Projekte

Martin Pluschke, Leiter Anwendungsentwicklung bei der NÜRNBERGER Lebensversicherung AG, betonte gleich zu Beginn seines Vortrages: „Wenn ich verstanden habe, wie ich Technologie ganzheitlich anwenden kann, bin ich auch in der Lage, eine strategische Entscheidung zu treffen.“ Die dabei in Betracht kommenden technologischen Lösungen müssen betriebswirtschaftlich und regulatorisch Sinn ergeben. Aktuell ist dem Experten zufolge Deep Learning der letzte Schrei. Bei der Etablierung sind mittelständische Unternehmen wie die NÜRNBERGER auf Kooperationspartner angewiesen. Zudem bietet die Cloud den nötigen Raum, um sich auszuprobieren. Welche KI-Themen die NÜRNBERGER gerade treibt, erläuterte Pluschke anhand von einigen Use Cases. So zeigte er ein Beispiel aus der Bildforensik im Betrugsbereich. Da die KI-gestützte Bildforensik von Daten lebt, betonte er, dass dies sicher auch ein Bereich sei, in dem Versicherer miteinander kooperieren könnten. Der Einsatz von KI hat aber Grenzen: Diese sind qualitative Daten, Nachvollziehbarkeit, regulatorische Vorgaben, falsches Training oder Diskriminierung und Bias. Dies soll jedoch nicht davon abhalten, sich auszuprobieren: „Wir müssen uns fragen, bis zu welchem Grad können wir einfach mal machen und dann nacharbeiten. Wir sind als Branche hardcore risikoavers, aber wir müssen mal aus dem Reden rauskommen“, so Pluschke.

KI zur Vertriebsunterstützung

Um den Einsatz von KI für Compliance in der Produktentwicklung und Vertriebssteuerung ging es im Vortrag von Dr. Kai Goretzky, Partner und Head of Europe Insurance Regulatory bei Dentons Europe, und Dr. Korbinian Spann, Chief Executive Officer bei der Insaas GmbH. Regulatorische Vorgaben wie die IDD oder POG haben den Kunden im Fokus. Auch hier kann KI sinnvoll unterstützen: Zielgruppenanalyse, Szenarioanalysen, Produkt-Evaluierungen und Qualifizierungen oder Vertriebskanalüberwachungen – all das kann KI-gestützt erfolgen.  

Das Thema Vertriebsunterstützung durch KI griffen auch Jan Blome, Customer Data Analyst bei der Provinzial Versicherung AG, und Janera Kronsbein, Project Owner der Informationsfabrik GmbH, auf. Die beiden erläuterten den Aufbau eines konzernweiten NBO-Modells (Next Best Offer). Aktuell wird dies im Direktmarketing eingesetzt, mit dem Ziel, die Abschlussquote der NBO-Kunden zu erhöhen. 

Der Einsatz von Machine Learning zur Reduktion des Basisrisikos einer indexbasierten Versicherung

Einen wissenschaftlichen Einblick lieferte Lorenz Schmidt, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Fokus des Vortrags stand das Potenzial von Machine Learning und wie das Basisrisiko bei indexbasierten Versicherungen verringert werden kann. Das Ganze erläuterte er am Beispiel der Ernteversicherung. Indexbasierte Versicherungsprodukte weisen dem Wissenschaftler zufolge aktuell noch ein hohes Basisrisiko auf und erfordern viel landwirtschaftliches Wissen. Für seinen Machine-Learning-Ansatz nutzte Lorenz Ernteertrags- und Wetterdaten der Jahre 2003 bis 2018. Seine Ausführungen zeigten, dass Machine Learning die Einführung von Crop-Insurance-Produkten vereinfachen kann. Zudem sind disaggregierte Wetterdaten vorteilhaft für maschinelle Lernmodelle. Weiterhin sollten versicherungsspezifische Ansätze bei der Gestaltung von maschinellen Lernmodellen verfolgt werden.  

Data Science, Deep Learning, Sprachmodelle: Künstliche Intelligenz bei der Barmenia 

KI hat bei der Barmenia eine lange Historie. Seit 2003 beschäftigt sich der Versicherer mit der Thematik und startete mit der Klassifikation von Dokumenten und der Extraktion von Daten. Gerhard Hausmann, Leitender Architekt für KI-Systeme bei der Barmenia Krankenversicherung AG, hielt sich jedoch nicht lange bei einem historischen KI-Abriss auf, sondern widmete sich den Entwicklungen der letzten Jahre. So stehen seit 2022 Voice- und Chatbots im Fokus und seit diesem Jahr erfolgt die Kodierung ärztlicher Diagnosen KI-gestützt. Der Einsatz von KI in Geschäftsprozessen steigt signifikant – vom Posteingang über die Klassifizierung bis zur Prozesszuführung. Voice- und Chatbots kommen vor allem im Kundenkontakt mit dem Ziel zum Einsatz, die Gesprächsdauer zu reduzieren. Die KI unterstützt bei der Abfrage der Versicherungsnummer, erkennt Intentionen, unterstützt bei der Authentifizierung und leitet Gespräche ein, die von den Mitarbeitenden fortgeführt werden. Dabei ist es wichtig, die Mitarbeitenden dahingehend zu schulen, dass die Arbeit des Voicebots nicht noch einmal vom Menschen wiederholt wird.

Bei der Dokumentenverarbeitung ist die Barmenia auf dem Weg der E-2-E-Dunkelverarbeitung. Bei Arzt- und Zahnarztrechnungen erfolgt KI-gestützt die Erkennung von Personen und ihren Rollen, also wer ist Patient und wer Behandler. Die Erkennungsrate konnte hier in den letzten Jahren von 40 auf 80 Prozent gesteigert werden. Zum Einsatz kommt dabei das Barmenia IDP-System. Dieses wird aktuell weiterentwickelt, um beispielsweise umfangreichere Rechnungen zu erkennen, was bereits gut funktioniert. Auch das Erkennen von Rechnungstabellen und ärztlichen Diagnosen soll in Kürze verbessert werden. Im Jahr erreichen die Barmenia zwei Millionen Arztrechnungen. Die Automationsquote liegt aktuelle bei ca. 25 Prozent.

Der Einsatz von KI im Claims Management

Dr. Viktoria Wollrab, Teamleiterin Data Science und AI in Claims, und Dr. Jan Ackmann, Data Scientist, beide bei der Zurich Deutschland GmbH, diskutierten in ihrem Vortrag den Einsatz von KI im Claims Management. Grundlage für den Einsatz von KI sind Daten und die sammelt die Zurich im eigenen Data Lake, auf den die Abteilungen zugreifen können. Das umfasst Dokumente, Vorgangsdaten, Schadendaten oder Bilder. Auf Grundlage dieses Data Lakes lassen sich Reportings ableiten, Analysen vornehmen oder KI-Projekte starten, wie die KI-gestützte Betrugsabwehr: Hier erkennt ein KI-Modell Betrugsmuster in Schadendaten. Das Modell wird anhand von historischen Daten trainiert. Zudem erfolgt eine kontinuierliche Wiedervorlage bei Eingang neuer Informationen. Stellt das KI-Modell anhand der Betrugsindizien wie Schadenbild oder Reparaturkosten einen Dubiosfall fest, wird dieser an einen Mitarbeiter zur Prüfung ausgespielt.

Bei der Optimierung des KI-Modells wird eng mit der Abteilung Counter Fraud zusammengearbeitet. Dies ist herausfordernd, denn oft ist das Fachwissen schwer formalisierbar. Zudem sprechen die einzelnen Abteilungen eine eigene Sprache, die es zu lernen gilt, damit man auf einer Ebene kommunizieren kann.

Auch Cardious Pomwap Fiassap und Alireza Mirzaei, beide Data Scientist bei der Signal Iduna, widmeten sich der Betrugsabwehr durch KI in ihrem Vortrag. Im Januar 2021 entstand eine Einheit zur Betrugsbekämpfung und Regressoptimierung. Das cross-funktionale Team​ besteht aus Product Owner, Scrum Mastern, Schadenspezialistinnen und -spezialisten​, Business-Analystinnen und -Analysten​, Data Scientists & Engineers​ sowie Entwickler​n und Entwicklerinnen. Zur Optimierung der Betrugsabwehr setzt der Versicherer auf Machine Learning. Die Herausforderung zu Beginn des Projektes lag im Labeling der Daten, was durch Mitarbeiter erfolgte und durch die Subjektivität fehleranfällig war. Aus diesem Grund kommt die SHAP-Value-Methode zur Interpretation der Machine-Learning-Modelle zum Einsatz. Wichtig seien hier jedoch ein regelmäßiges Update und ein Monitoring des Modells: Die Live-Performance muss überwacht werden, ältere Datenpunkte müssen regelmäßig entfernt werden. Zudem stellten die beiden die hausinternen Lösungen fraudula und fraudpit vor. Letzteres erlernt Betrugstrends, um schnell auf neue Betrugsmaschen reagieren zu können.

Der Beitrag war nur ein kleiner fachlicher Ausschnitt der Fachkonferenz mit insgesamt 18 Fachbeiträgen aus der Versicherungsbranche. Wer die letzte Fachkonferenz verpasst hat, die Diskussionen um KI in Versicherungen jedoch verfolgen möchte, sollte sich den 24./25. April 2024 vormerken.