Wozu noch Wissensmanagement? Wir haben doch jetzt KI!

Warum dieser Gedanke gefährlich kurz greift und wie sich Versicherer jetzt klug aufstellen sollten – das diskutieren wir im Beitrag. Wir haben dazu die Erkenntnisse aus einem Workshop mit 40 Branchenprofis aus fast 20 Versicherungsunternehmen herangezogen und aktuelle Herausforderungen, Lösungsansätze und Fallstricke im Kontext Wissensmanagement in Form eines fiktiven Dialogs zweier Abteilungsleitender gegenübergestellt. Wesentlich ist dabei immer die Frage, unter welchen Voraussetzungen KI den Umgang mit Wissen im Unternehmen sinnvoll bereichern kann.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Betrieb & Organisation
Themen:
Wissensmanagement KI / AI / künstliche Intelligenz
Wozu noch Wissensmanagement? Wir haben doch jetzt KI!

Der Irrtum vom selbstdenkenden System

KI kann viel. Sie kann strukturieren, Vorschläge machen, Zusammenhänge erkennen. Aber: Sie kann nur mit dem arbeiten, was da ist – und mit dem Format, in dem es vorliegt. Kurz gesagt: KI braucht Ordnung, um effektiv zu sein. Für Versicherungsunternehmen stellt das eine Herausforderung dar:  

  • Wissen ist in Silos gespeichert, teils fehlt es auch an der Bereitschaft, diese aufzubrechen.
  • Die Dokumentation des vorhandenen Wissens ist oft lückenhaft, im Arbeitsalltag bleibt dafür selten Zeit.
  • Verantwortlichkeiten für den Wissenstransfer und das Datenmanagement sind unklar oder werden als Zusatzaufgabe angesehen.
  • Prozesse zur Wissensverteilung fehlen ganz oder sind nur informell.
  • Und nicht zuletzt: Wissen liegt in den Köpfen einzelner Expertinnen und Experten und geht mit dem Wechsel des Unternehmens (oder dem Eintritt in die Rente) verloren.

Was Versicherer in der Praxis bereits umsetzen

Während der Workshop die häuserübergreifend Herausforderungen im Wissensmanagement der Versicherungsunternehmen offenlegte, gab es erfreulicherweise auch vielversprechende Lösungsansätze, von denen einzelne Teilnehmende berichteten. Diese zeigen, dass ein Umdenken stattfindet und konkrete Schritte unternommen werden, um die Wissensbasis des Unternehmens für die Zukunft zu stärken und den Weg für einen effektiven KI-Einsatz zu ebnen.

Automatisierte Datenerfassung mit klaren Rollenmodellen

Einige Unternehmen setzen bereits auf die Automatisierung der Datenerfassung, um die manuelle Arbeit zu reduzieren und Fehler zu minimieren. Entscheidend dabei ist jedoch die gleichzeitige Einführung klar definierter Rollen und Verantwortlichkeiten. Es wird festgelegt, wer welche Art von Wissen erfasst, pflegt und freigibt. Dies schafft Struktur und Verantwortlichkeit, wo zuvor oft Unklarheit herrschte, und stellt sicher, dass relevante Informationen konsistent und korrekt in die Systeme gelangen.

Datenstrategie & Roadmaps mit Zielbild und Zuständigkeiten

Statt punktueller Ad-hoc-Lösungen entwickeln Vorreiterunternehmen umfassende Datenstrategien. Diese beinhalten ein klares Zielbild, wohin sich das Wissensmanagement entwickeln soll, und detaillierte Roadmaps, die die notwendigen Schritte dorthin definieren. Dabei werden von Anfang an Zuständigkeiten klar zugewiesen, um sicherzustellen, dass die Strategie nicht nur auf dem Papier existiert, sondern aktiv umgesetzt und verantwortet wird. Das Wissensmanagement wird somit von einer Nebenaufgabe zu einem strategischen Pfeiler des Unternehmens.

Technische Plattformen mit integrierten Feedbackschleifen

Der bloße Einsatz von Software ist nicht genug. Ziel sollte die Implementierung technischer Plattformen sein, die nicht nur die zentrale Ablage und den Zugriff auf Wissen ermöglichen, sondern auch integrierte Feedbackschleifen besitzen. Das bedeutet, Nutzende können direkt Rückmeldungen zur Qualität, Aktualität oder Vollständigkeit von Informationen geben. Dies fördert die kontinuierliche Verbesserung der Wissensbasis und stellt sicher, dass das Wissen lebendig bleibt und sich an die Bedürfnisse der Nutzer:innen anpasst.

Wissen als Produkt denken – inklusive „Output-Garantie“

Noch innovativer und zukunftsorientierter ist es, Wissen nicht als bloße Ansammlung von Informationen zu betrachten, sondern als ein “Produkt" mit einem definierten Wert. Das bedeutet, dass für bestimmte Wissensbereiche oder -produkte eine Art "Output-Garantie" gegeben wird. Es wird sichergestellt, dass das benötigte Wissen in einer bestimmten Qualität, zum richtigen Zeitpunkt und in einem nutzbaren Format verfügbar ist – ähnlich einem Service Level Agreement. Dieser Blickwinkel zwingt dazu, über die bloße Speicherung hinauszugehen und sich auf die tatsächliche Nutzbarkeit und den Mehrwert des Wissens zu konzentrieren.

Diese Ansätze zeigen, dass die Herausforderungen im Wissensmanagement zwar groß sind, aber lösbar. Sie erfordern nicht nur technologische Investitionen, sondern vor allem ein strategisches Umdenken, klare Prozesse und eine Kultur, die den Wert von gut strukturiertem und zugänglichem Wissen anerkennt und aktiv fördert.

Ausblick: KI ist kein Ersatz für Wissensmanagement – sondern dessen logische Weiterentwicklung

Die KI wird nicht das Wissensmanagement ersetzen. Sie wird es verstärken – sofern wir ihr eine gute Basis geben. Das bedeutet: strukturierte Daten, klare Zuständigkeiten, gepflegte Wissensbestände und ein gemeinsames Verständnis von Qualität.

Die Diskussion im Workshop zeigte deutlich:  

KI entfaltet ihr Potenzial nur in einer Umgebung, in der Wissen verfügbar, strukturiert und eingebettet in Prozesse ist.

KI-Systeme sind keine magischen Alleskönner. Ihre Leistungsfähigkeit – sei es bei der Analyse großer Datenmengen, der Automatisierung von Prozessen oder der Generierung neuer Erkenntnisse – hängt direkt von der Qualität und der Zugänglichkeit der Daten und Informationen ab, die sie verarbeiten. Unstrukturiertes, lückenhaftes oder in Silos gefangenes Wissen ist für KI nutzlos. Sie braucht klare Strukturen, semantische Zusammenhänge und definierte Prozesse, um ihr volles Potenzial als Katalysator für Innovation und Effizienz entfalten zu können. Ohne eine solide Wissensbasis wird jede KI-Initiative zum Experiment mit unklarem Ausgang.

Das bedeutet: Wissensmanagement ist kein Anhang der Digitalisierung – sondern deren Ermöglicher.

Viel zu lange wurde Wissensmanagement oft als notwendiges Übel oder als isolierte Zusatzaufgabe betrachtet. Die Digitalisierung und insbesondere der Aufstieg der KI machen jedoch deutlich: Wissensmanagement ist der strategische Grundpfeiler, auf dem jede erfolgreiche digitale Transformation und jede zukunftsweisende KI-Anwendung aufbaut. Es stellt sicher, dass Unternehmen agil bleiben, schnell auf Veränderungen reagieren und das kollektive Wissen effizient für neue Geschäftsmodelle und verbesserte Kundenerlebnisse nutzen können.

Es braucht strukturelle Verantwortung, technische Standards, Kommunikationsformate und kulturelle Verankerung. Die Vision einer KI-gestützten Wissenslandschaft erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der über reine Technologielösungen hinausgeht:
  • Strukturelle Verantwortung: Es muss klare Rollen, Zuständigkeiten und vielleicht sogar dedizierte Teams geben, die sich federführend um das Wissensmanagement kümmern und dessen strategische Relevanz im Unternehmen verankern.
  • Technische Standards: Einheitliche Ablagesysteme, gemeinsame Taxonomien, interoperable Schnittstellen und eine kohärente Datenstrategie sind unerlässlich, um Wissenssilos aufzubrechen und die Grundlage für eine effiziente Nutzung durch Mensch und Maschine zu schaffen.
  • Kommunikationsformate: Aktive Formate für den Wissensaustausch – sei es durch interne Blogs, Communities of Practice, digitale Kollaborationsplattformen oder regelmäßige Wissenstransfer-Workshops stärken die Relevanz nach innen. Wissen muss nicht nur dokumentiert, sondern auch aktiv gelebt und geteilt werden.
  • Kulturelle Verankerung: Letztlich ist Wissensmanagement eine Frage der Unternehmenskultur. Es braucht eine Wertschätzung für geteiltes Wissen, eine Offenheit für Feedback und eine Lernbereitschaft auf allen Ebenen. Nur wenn das Teilen von Wissen als integraler Bestandteil der täglichen Arbeit verstanden und gefördert wird, kann der Grundstein für eine wirklich wissensgetriebene und KI-fähige Organisation gelegt werden.
Wer die Chancen der KI voll ausschöpfen will, muss heute die Weichen stellen und nicht nur in die technologischen Grundlagen, sondern auch in ein robustes, strategisch ausgerichtetes Wissensmanagement investieren. Denn eines steht fest: Die Zukunft gehört denen, die wissen, was sie wissen – und wissen, wie man daraus Mehrwert schafft.

Austausch und Zusammenarbeit im Werkstattformat

Der rege Austausch der Teilnehmenden aus den verschiedenen Versicherungshäusern während des Halbtagesworkshops hat gezeigt, wie mehrwertig ein definierter Rahmen und Leitfragen dafür sind. Um dem Thema noch mehr Raum zu geben und über die Diskussion hinaus in die Erarbeitung von Maßnahmen gehen zu können, bieten die Versicherungsforen im Herbst eine Werkstatt dazu an.

16. September 2025 | Online | 09:00-12:30 Uhr

08./09. Oktober 2025 | Präsenz in Leipzig | 10:00-18 Uhr bzw. 09:00-15:30 Uhr

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