Die Talent-Illusion: Warum Versicherer trotz Trainee-Programmen den Nachwuchs verlieren

Trotz hoher Investitionen in Trainee-Programme kämpfen Versicherer mit der Fluktuation junger Talente – dieser Beitrag analysiert, warum das so ist und wie der Erfolg wirklich messbar wird.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Betrieb & Organisation
Themen:
Personalentwicklung
Die Talent-Illusion: Warum Versicherer trotz Trainee-Programmen den Nachwuchs verlieren

Lesezeit: 3 bis 4 Minuten

Inhalt: 

  • Das Problem: Versicherungsunternehmen haben Schwierigkeiten, junge Talente langfristig zu binden, da deren Werte (Work-Life-Balance, Purpose) oft nicht mit der Branchenrealität übereinstimmen und eine hohe Fluktuation nach wenigen Jahren die Folge ist.
  • Die Messbarkeit: Um die Wirksamkeit von Trainee-Programmen zu bewerten, reicht die rein finanzielle Messung (ROI) nicht aus; es bedarf eines Mixes aus quantitativen Kennzahlen und qualitativen Methoden wie dem “Return on Expectations” (ROE), der Zufriedenheit, Lernfortschritt und Verhaltensänderungen erfasst.
  • Die Lösung: Erfolgreiche Programme erfordern einen ganzheitlichen Ansatz, der bereits bei der Auswahl beginnt (Abgleich von Erwartungen und Werten) und durch kontinuierliches Feedback und Mentoring die persönliche Entwicklung in den Mittelpunkt stellt, anstatt sich nur auf Kennzahlen zu verlassen.


Die Gewinnung und Bindung qualifizierter Nachwuchskräfte zählt zu den vorrangigen Zielen vieler Versicherungsunternehmen. Zwar gelingt es häufig, junge Talente für die Organisation zu rekrutieren, doch in der Praxis zeigt sich oft, dass diese bereits nach wenigen Jahren das Unternehmen wieder verlassen. Für Führungskräfte und Personalverantwortliche stellt diese Fluktuation eine kontinuierliche Herausforderung im Personalmanagement dar. Der Beitrag diskutiert Ursachen und Möglichkeiten den Erfolg von Trainee-Programmen zu messen.

Talentfluktuation: Das Kernproblem auf den Punkt gebracht

Die hohe Fluktuation hat zwei Treiber: Zum einen kollidiert der Wertewandel junger Talente – Fokus auf Work-Life-Balance und Purpose – mit der Realität der Branche. Zum anderen zwingt der demografische Wandel die Unternehmen, im Kampf um weniger Kandidaten effektiver und vor allem attraktiver zu werden. Als strategische Antwort sollen Trainee-Programme die Bindung der jungen Talente an das Unternehmen sichern. Ihre tatsächliche Wirksamkeit steht jedoch auf dem Prüfstand, woraus sich die entscheidende Frage ergibt, wie die Effektivität und Effizienz von Trainee-Programmen gemessen und optimiert werden kann, um diese langfristig weiterzuentwickeln.

Die ernüchternde Realität: Es muss nachjustiert werden

Laut einer amerikanischen Studie innerhalb des Finanzsektors aus dem Jahr 2023 verlassen ein von vier Trainees das ausbildende Unternehmen nach drei Jahren Aufenthaltsdauer. Genaue Kennzahlen im deutschen Finanzwesen gibt es hierzu nur wenige. Die Gründe unter den Abgängern sind dabei recht unterschiedlich. Einerseits kann sich die Nachwuchskraft von der Führungskraft in Bezug auf die Weiterentwicklung im Stich gelassen fühlen, andererseits können Verfehlungen von Unternehmenszielen und -erwartungen Gründe für das Gehen sein.

Vor diesem Hintergrund ist das Aufsetzen eines ganzheitlich durchdachten End-to-End-Prozesses für Trainee-Programme sinnvoll, wovon sowohl Unternehmen als auch Nachwuchskraft profitieren. Hier spielt spielt bereits der Auswahlprozess eine entscheidende Rolle, wo sich gegenseitige Erwartungshaltungen zeigen. Zudem sollten die Kernkompetenzen des potenziellen Trainees ermittelt und mit den individuellen Unternehmenswerten abgeglichen werden. Dies führt nicht selten zu einer höheren Verbundenheit zwischen Nachwuchskraft und Unternehmen.

Erfolge des Programms sichtbar machen

Wenn Erwartungshaltung und Kernkompetenzen zusammenpassen, ist dies ein erster erfolgreicher Schritt, der sich positiv auf die Wirksamkeit des Trainee-Programms auswirken wird. Zudem ist eine Bewertung der Wirksamkeit aus ökonomischer Sicht erforderlich. Die Herausforderung besteht darin, gute Ausbildungsarbeit und entsprechende Erfolge messbar zu machen, um konkrete Maßnahmen steuern zu können.

Die ROI-Methode ist aufgrund der Einfachheit der Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen weit verbreitet und wurde auch im Rahmen einer Untersuchung von Newlevelwork konkret für Trainee-Programme angewandt. Die Studie zeigt, dass der Durchschnitt der analysierten Programme einen ROI von 700 Prozent aufwirft. Diese Studie inkludiert den erwirtschafteten Nutzen durch höhere Umsatzverkäufe sowie Einsparungsmaßnahmen durch höhere Mitarbeiterbindung und geschlossene Vakanzen innerhalb der Unternehmen. Der ROI kann als operative KPI (Key Performance Indicator) genutzt werden, ist jedoch langfristig betrachtet von Missinterpretationen geprägt. Daher wurden weitere Modelle zusätzlich zur quantitativen Bemessung entwickelt, wie beispielsweise der Return on Expectations (ROE).

Kennzahlen sind nicht alles

Das Return on Expectations Modell wurde im Jahr 1959 von Donald Kirkpatrick speziell zur Evaluierung von Ausbildungsprogrammen entwickelt und beschreibt vier verschiedene Evaluationsebenen:

  1. Ebene: Reaktion 
    Vor und nach Ende des Programmes geben die Teilnehmenden bspw. ihr Meinungs- und Stimmungsbild zu individuellen Empfindungen in Form der Sterne-Bewertung ab. Auch Mentorinnen und Mentoren sowie Führungskräfte stimmen ab, um ein Gesamtbild der Zufriedenheit zu erhalten.
  2. Ebene: Lernen 
    Es wird geprüft, über welches Wissen der Teilnehmende vor Start, währenddessen sowie nach Abschluss des Programmes verfügt.
  3. Ebene: Verhalten 
    Hierbei wird geprüft, ob erworbene Fähigkeiten im Praxisalltag effektiv eingesetzt werden können. Insbesondere in dieser Phase ist die qualitative Kontrolle eines Mentors wichtig.
  4. Ebene: Resultate/Ergebnisse 
    Hier wird gemessen, wie viele Teilnehmende das Programm absolviert haben und sich auch über Jahre weiterhin im Unternehmen befinden. Es findet zudem ein Blick auf die langfristigen Wertschöpfungsziele des Unternehmens statt.

Zwischen KPI und Bauchgefühl

Zahlen liefern auf den ersten Blick ein Orientierungsmaß, sind jedoch nur ein Bestandteil der Evaluierung. Wie in der dritten Ebene zu sehen, sind persönliche Entwicklung und individuelles Verhalten schwer in Zahlen auszudrücken. Die erfolgreiche Bewertung des Nutzens von Trainee-Programmen kann nur durch einen Methodenmix aus quantitativen und qualitativen Messungen gewährleistet werden. Langfristige Entwicklungen werden oftmals in individuellen Austauschformaten wie regelmäßigen Feedbackrunden mit z. B. einem Mentor ersichtlich. Daher ist es entscheidend, gezielt qualitative Faktoren zusätzlich zur reinen KPI-Betrachtung in die Evaluation zu integrieren.

Wer Talente will, muss aktiv werden

Erfolgreiche Trainee-Programme sind keine Selbstläufer, sondern das Ergebnis von Engagement und kontinuierlicher Weiterentwicklung. Wer junge Talente langfristig binden und begeistern will, muss seine eigenen Auswahlprozesse kritisch hinterfragen und diese Programme bewusst weiterentwickeln.

Erstmals erschienen im Themendossier 11/2025: Die Zukunft der Arbeit – zwischen Kompetenz, KI und Kulturwandel im Juli 2025. 

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