Arbeitskraftabsicherung: Branchenbefragung und Praxiseinblicke
Im Beitrag geben wir einen Einblick in eine aktuelle Branchenbefragung und in Praxiseinblicke der Fachkonferenz Arbeitskraftabsicherung.
Wie gestaltet die Branche den Zukunftsmarkt der Arbeitskraftabsicherung? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Fachkonferenz im September 2025, zu der sich zahlreiche Expertinnen und Experten aus Versicherungen, Rückversicherern und Technologieanbietern in Leipzig trafen. Den Auftakt bildete ein Blick auf die Ergebnisse einer Vorabumfrage unter 36 Teilnehmenden. Im Beitrag werden die Ergebnisse beleuchtet und abschließend Einblicke in ausgewählte Praxisimpulse der Fachkonferenz gegeben.
Digitalisierung, Technologieeinsatz und Produktentwicklung
Die Befragung unter 36 Expertinnen und Experten zeigt deutlich, dass die Branche sich in einem Transformationsprozess befindet, insbesondere im Hinblick auf Digitalisierung und Produktgestaltung.
Beim Einsatz innovativer Technologien in der Risikoprüfung überwiegt eine positive Grundhaltung:
- 52 Prozent bewerten den Einsatz als positiv bzw. sehr positiv,
- 44 Prozent als neutral.
- Nur vier Prozent äußern eine eher negative Einschätzung.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Ansätze wie künstliche Intelligenz oder Data Analytics überwiegend Akzeptanz finden, gleichzeitig aber noch nicht flächendeckend als Gamechanger wahrgenommen werden.
Wesentlich kritischer fällt die Einschätzung zur Digitalisierung im Leistungsprüfungsprozess aus.
- 26 Prozent sehen ihre Prozesse als fortgeschritten bzw. sehr fortgeschritten.
- Die Mehrheit – 67 Prozent – verortet sich im Mittelfeld.
- Weitere sieben Prozent sprechen von einem geringen Digitalisierungsgrad.
Hier wird spürbar, dass viele Unternehmen noch vor der Aufgabe stehen, manuelle Tätigkeiten und papierbasierte Abläufe zu reduzieren.
Auch produktseitig zeigt die Befragung klare Trends. Besonders die Entwicklung modularer und flexibler Produkte für Berufsunfähigkeit (BU)- wird als wichtiges Zukunftsthema bewertet:
- 29 Prozent halten Modularität für sehr wichtig,
- 41 Prozent für wichtig. Damit messen insgesamt 70 Prozent diesem Aspekt eine erhöhte Bedeutung bei.
Gleichzeitig gewinnt die Grundfähigkeitsversicherung (GFV) weiter an Profil:
- 18 Prozent der Befragten sehen sie als wettbewerbsfähig,
- 26 Prozent als gleichwertig,
- 52 Prozent als weniger wettbewerbsfähig zur BU.
- Nur vier Prozent stufen sie als nicht wettbewerbsfähig ein.
Auf die Frage, welche Rolle Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung (ESG-Kriterien) in der Produktentwicklung und im Vertrieb von Arbeitskraftabsicherungen in den kommenden Jahren spielen, zeigte sich, dass das Thema eher verhalten Einzug in die Arbeitskraftabsicherung hält:
- 18 Prozent bewerten die Bedeutung von ESG-Kriterien als groß,
- 30 Prozent nehmen ESG wahr, priorisieren jedoch noch nicht,
- und 52 Prozent sehen eine geringe Rolle.
Themen, die die Branche aktuell am stärksten bewegen
Die offenen Antworten am Ende der Befragung geben einen weiteren Einblick in die Herausforderungen, die Versicherer derzeit beschäftigen. Besonders häufig genannt wurde der Fachkräftemangel – sowohl in IT-Bereichen als auch in der Risiko- und Leistungsprüfung. Die Unternehmen stehen vor der Frage, wie sie benötigte Kompetenzen aufbauen können, etwa durch die Entwicklung eigener Talente. Gleichzeitig belasten technische und organisatorische Rahmenbedingungen wie komplexe Systemlandschaften, Datenschutzanforderungen oder die heterogene Prozesswelt der Geschäftspartner.
Auch auf Produktebene zeigt sich eine Vielzahl aktueller Themen. Genannt wurden unter anderem:
- die Weiterentwicklung und Positionierung der Grundfähigkeitsversicherung,
- BU-Schutz für Schülerinnen und Schüler,
- zielgruppengerechte Ausgestaltung von GFV- und BU-Tarifen,
- Produktlösungen für Personen mit Vorerkrankungen
- sowie die Entwicklung zukunftsorientierter, flexibler Tarifmodelle.
Praxisimpulse aus der Branche – Entwicklungen, Lösungen und Erfolge
Neben den Erkenntnissen der kompakten Branchebefragung bot die Konferenz auch einige Praxisimpulse. Themen des Kapitels sind:
- Wie die HUK-Coburg ihre Risikoprüfung weiterentwickelt hat.
- Status quo der Grundfähigkeitsversicherung
- die digitalisierte BU-Leistungsprüfung bei der SV SparkassenVersicherung
- die Bayrische und Deutsche Rück: BU-Baukastenprinzip
Die Vorträge der Fachkonferenz boten einen vielfältigen Einblick in aktuelle Initiativen zur Modernisierung der Arbeitskraftabsicherung. Ein Schwerpunkt lag auf der Weiterentwicklung der Risikoprüfung. Munich Re präsentierte mit MIRA Pro die neue Generation des bekannten Risikoprüfungssystems, das eine deutlich detailliertere Bewertung ermöglicht. Die HUK-COBURG, seit 2021 Pilotpartnerin, konnte eigene Anforderungen einbringen – darunter die Integration eines Multirisk-Kalkulators und die Möglichkeit, bei eindeutigen Diagnosen Zwischenschritte zu überspringen. Erste Erfahrungen im Live-Betrieb zeigen, dass das System gut angenommen wird und künftig flächendeckend im Unternehmen eingesetzt werden soll.
Auch die Diskussion um die Weiterentwicklung der Grundfähigkeitsversicherung (GFV) wurde durch konkrete Impulse unterfüttert. Joachim Schütt (Valytics GmbH) machte deutlich, dass die Arbeitskraftabsicherung trotz breiter Produktlandschaft nur geringe Fortschritte in der Marktdurchdringung verzeichnet. In der Grundfähigkeitsversicherung sieht er ungenutzte Potenziale durch differenzierte Zielgruppenkonzepte, berufsspezifische Produktgestaltung oder die Weiterentwicklung kindgerechter Angebote. Er erläutert weiterhin, dass sich Innovationsansätze zunehmend an der BU orientieren, etwa durch modulare Bausteine und lebenssituationsbezogene Leistungen. Die betriebliche Arbeitskraftabsicherung (bAKS) sieht er als Wachstumstreiber.
Einen besonders eindrucksvollen Modernisierungsschritt präsentierte die SV SparkassenVersicherung: Innerhalb kurzer Zeit wurde die BU-Leistungsprüfung vollständig digitalisiert – von einem papierlastigen Verfahren hin zu einem medienbruchfreien Prozess auf Basis der Proventem Claims Plattform. Die Ergebnisse sprechen für sich: Die Prozessdauer verkürzte sich um 40 Tage, Kundinnen und Kunden erhalten Rückmeldungen innerhalb einer Stunde, und die Digitalisierungsquote liegt bereits bei 82 Prozent – weit über dem ursprünglichen Ziel für das Jahr 2025. Auch der Einsatz von KI, etwa bei Tätigkeitsbeschreibungen, trägt zur Effizienzsteigerung und Nutzerfreundlichkeit bei.
Ein Beispiel konsequent modularer Produktentwicklung präsentierte die Bayerische, die gemeinsam mit der Deutschen Rück ein Baukastenprinzip für die BU entwickelt hat, bei dem ein Basistarif durch zielgruppenorientierte Bausteine ergänzt werden kann. Diese Produktlogik ermöglicht individuelle und flexible Lösungen – ein Ansatz, der sich bereits im Neugeschäft bemerkbar macht: Die Bayerische hat das Wachstum mehr als verdoppelt.
Die Arbeitskraftabsicherung hat bekannte Herausforderungen, doch die Branche packt sie aktiv an. Von Stillstand keine Spur: Zielgruppenspezifische Produkte, modulare Konzepte und umfassende Digitalisierungsprojekte zeigen eine klare Dynamik und Wandlungsbereitschaft.
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