Nachhaltigkeit braucht Transparenz

Das Thema Nachhaltigkeit hat für Versicherungen viele Facetten. Insbesondere die Anpassungen an die neuen regulatorischen Vorschriften zählen aktuell zu den großen Herausforderungen. Welcher Handlungsbedarf besteht beim Reporting? Wie lässt sich das Thema ESG effizient in den Vertriebsprozess integrieren? Welche Neuerungen stehen beim Risikomanagement an? Eine aktuelle Einschätzung von Mark Hahmeier, Senior Manager bei der PPI AG.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Betrieb & Organisation
Themen:
Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit braucht Transparenz

Herr Hahmeier, inwieweit betrifft die Sustainable Finance Disclosure Regulation EU 2019/2088 – kurz SFDR – die Versicherungsunternehmen?


Zunächst einmal ist festzustellen, dass die SFDR sämtliche Finanzmarktteilnehmer und -berater in die Pflicht nimmt, nicht nur Lebensversicherer mit ihren Versicherungsanlageprodukten. Die betroffenen Unternehmen werden von dieser Verordnung angewiesen, Informationen über die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken bei ihren Investitionsentscheidungen und ihrer Vergütungspolitik öffentlich zugänglich zu machen. Gleiches gilt für nachteilige Auswirkungen und Eigenschaften ihrer Finanzprodukte im Hinblick auf die Aspekte Environment, Social und Governance oder kurz ESG. Ob die Informationen auf Unternehmens- oder Produktebene heruntergebrochen sein müssen und in welcher Form sie zu veröffentlichen sind – im Internet, in regelmäßigen Berichten oder in vorvertraglichen Informationen – hängt vom jeweils geforderten Inhalt ab.

Wie viel Zeit bleibt den Versicherern noch, entsprechende Berichte vorzubereiten?


Die SFDR ist seit dem 10. März des vergangenen Jahres bereits größtenteils in Kraft. Aber: Die konkreten Inhalte, Methoden und Berichtsformate sind in der Durchführungsverordnung DVO 2022/1288, den sogenannten Regulatory Technical Specifications, geregelt, die erst Anfang dieses Jahres herausgekommen und ab dem 1. Januar 2023 anzuwenden sind. Bis dahin gibt es vereinfachende Übergangsregelungen. Allerdings empfehlen die drei Aufsichtsbehörden EBA, ESMA und EIOPA den Unternehmen dringend, die Übergangszeit zu nutzen und sich auf die umfangreichen Berichtspflichten vorzubereiten. Dies betrifft beispielsweise auch die methodischen Aspekte bei der Behandlung der wichtigsten negativen Nachhaltigkeitsauswirkungen, der sogenannten Principal Adverse Impacts (PAI), der im Portfolio befindlichen Finanzprodukte. Diese sind anhand von mindestens 20 Nachhaltigkeitsindikatoren erstmals für das Berichtsjahr 2022 zu analysieren und bis zum 30. Juni 2023 zu veröffentlichen.

Welche Rolle spielt die viel diskutierte EU-Taxonomie-Verordnung (TR) in diesem Zusammenhang?


Die TR klassifiziert ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten anhand von sechs definierten Umweltzielen und ergänzt die Anforderungen aus der SFDR. Die drei Aufsichtsbehörden haben in ihrer Erklärung zu den Erwartungen an die Übergangszeit insbesondere auch konkrete Aussagen zur Anwendung der Taxonomie-Verordnung gemacht. Hier geht es im Detail um die sogenannten Artikel-8- und Artikel-9-Produkte, bei denen eine nachhaltige Investition angestrebt wird oder zumindest ökologische oder soziale Merkmale beworben werden. Dabei darf nicht in Vergessenheit geraten, dass sich aus der TR auch Anforderungen an das Non-financial Reporting ergeben, also für Unternehmen, die unter Artikel 19a oder 20a der Richtlinie zur Corporate Social Responsibilty (CSR-Richtlinie) fallen. In diesem Zusammenhang sind Angaben darüber zu machen, wie und in welchem Umfang die Tätigkeiten des berichtenden Unternehmens ökologisch nachhaltig sind. Konkretisiert werden die notwendigen Informationen in der DVO 2021/2178. Versicherer haben bei der Umsetzung noch eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2023: Bis dahin sind Kennzahlen nur auf Basis taxonomiefähiger Wirtschaftstätigkeiten auszuweisen, für 2022 zudem nur für die Umweltziele 1 und 2. Ab 1. Januar 2024 müssen aber auch Versicherer die vollständige Taxonomiekonformität anhand der in Teilen bereits veröffentlichten technischen Bewertungskriterien – DVO 2021/2139 für Umweltziele 1 und 2 – prüfen. Und als ob das nicht genug wäre, dürfte die Erweiterung der Inhalte im Non-financial Reporting durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) die Herausforderungen im Berichtswesen nochmals vergrößern, und zwar vermutlich ab dem Geschäftsjahr 2024. Die durch EFRAG erarbeiteten und im Rahmen der jüngsten Konsultation veröffentlichten European Sustainability Reporting Standards (ESRS) geben einen ersten Eindruck von den zukünftigen Berichtspflichten. Die entsprechenden Reports sind dann auch zwingend im Lagebericht zu veröffentlichen und Bestandteil der externen Prüfung. 

Das klingt nach reichlich Arbeit für die Unternehmen, und dies in einem sehr umkämpften Marktumfeld. Wie ist das zu stemmen?


Alleine wird das für die große Masse der Unternehmen kaum zu bewältigen sein. Hier kommt es darauf an, mit erfahrenen Partnern zusammenzuarbeiten, um den eigenen Betrieb nicht lahmzulegen. Auch wir unterstützen Unternehmen bei der pragmatischen, gesetzeskonformen und über alle Bereiche konsistenten Umsetzung der neuen Offenlegungsanforderungen. Das reicht von der Gap-Analyse und dem Aufbau passender Datenhaushalte über methodische Konzeptionen sowie dem Ausbau entsprechender Prozessstrecken bis hin zur Automatisierung über geeignete Systeme und Tools. Das gilt übrigens auch für die erweiterten Beratungs- und Dokumentationspflichten im Vertrieb. Hierfür haben wir im eigenen Haus eine Softwarelösung entwickelt, die eine leitlinienkonforme Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen und darauf basierend eine Ableitung entsprechender Produktempfehlungen bietet.

Stichwort Vertrieb: Welche Auswirkungen hat die Aufnahme des Themas Nachhaltigkeit an dieser Stelle?


Nun, hier wurde auf europäischer Ebene die Richtlinie für den Versicherungsvertrieb, die Insurance Distribution Directive 2016/97, erweitert. Dies geschah bereits im August 2021 mit der damals veröffentlichten DVO 2021/1257. Die Ergänzungen betreffen einerseits die Prozesse zur Produktgenehmigung, -entwicklung und -überwachung, andererseits müssen zum Beispiel die Nachhaltigkeitspräferenzen eines (potenziellen) Kunden in den Beratungsprozess zu Versicherungsanlageprodukten integriert werden. Genau für diesen Fall haben wir die bereits erwähnte Softwarelösung entwickelt. Alle Änderungen aus dem IDD-Update sind an sich seit dem 2. August 2022 bindend. Aber die erst kurz zuvor veröffentlichten Leitlinien der EIOPA für die Einbeziehung der Nachhaltigkeit in den Beratungsprozess zeigen, dass gerade zu diesem Thema noch nicht alle Diskussionen geführt und nicht alle Umsetzungen final abgeschlossen sind.

Welche Veränderungen im Risikomanagement stehen aktuell an?


Vornehmlich ist hier die ebenfalls seit Anfang August anzuwendende Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken in das Governance-System von Versicherungen zu nennen. So sind unter anderem die Risikomanagementfunktion und die eigene Risikoabschätzung, das Own Risk and Solvency Assessment (ORSA) anzupassen. Die rechtliche Normierung ergibt sich aus der DVO 2021/1256 zur Änderung der Solvency-II-Richtlinie 2009/138 beziehungsweise der DVO 2015/35. Ergänzt werden die Anforderungen aus der Verordnung durch das am 20. Dezember 2019 veröffentlichte und als Orientierungshilfe gedachte Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken der BaFin. Demzufolge sind zum Beispiel transitorische und physische Nachhaltigkeitsrisiken im Rahmen von Stresstests und Szenarioanalysen in geeigneter Weise abzubilden, und zwar unter verstärktem Einsatz auch entsprechend langfristiger Analysen. Im Hinblick auf den speziellen Fall von Klimawandelszenarien hat die EIOPA die Erwartungen der Aufsicht in einer Stellungnahme vom 19. April 2021 weiter konkretisiert: Klimawandelrisiken sind mit einer hinreichenden Zahl von Stresstests und Szenarioanalysen zu bewerten, wobei auch Betrachtungen bis zum Jahr 2100 einbezogen werden sollen. Die EIOPA plant, ab dem 19. April 2023 mit der Überwachung der Anwendung durch die nationalen Aufsichtsbehörden zu beginnen.

Da kommt eine ganze Lawine neuer Verpflichtungen auf die Versicherer zu. Wie kann ein Unternehmen da den Überblick behalten?


Wie bereits gesagt, die Versicherer stehen ja nicht alleine da. Unsere Experten helfen zum Beispiel auch bei der Konzeption und Integration pragmatischer Szenario- und Stresstestansätze zu langfristigen Klimawandelrisiken in bestehende Planungs- und Simulationsumgebungen. Außerdem ist es sehr sinnvoll, sich untereinander auszutauschen, damit nicht jeder das Rad neu erfinden muss. Wir laden die Versicherungsunternehmen daher auch gerne zu einem ESG-Branchentreff am 29. und 30. September ein. Es haben bereits eine Reihe hochkarätiger Referenten zugesagt. Weitere Informationen dazu gibt es im Netz unter PPI AG: ESG Konferenz für Banken und Versicherungen.
 

Themen Tags