ESG-Implementierung in der Kapitalanlage: Das waren die Themen des ersten Expertentreffens in Leipzig
Die erste User Group ESG-Implementierung in der Kapitalanlage zeigte eindrucksvoll, wie vielfältig und herausfordernd die Integration nachhaltiger Kriterien in Investitionsstrategien ist – von Biodiversität und Kreislaufwirtschaft bis hin zu Engagement-Strategien und wissenschaftlich fundierten Impact-Analysen. Der Beitrag gibt einen Überblick.

Im November 2024 fand in Leipzig zum ersten Mal das Arbeitstreffen der User Group „ESG-Implementierung in der Kapitalanlage" statt. Die Teilnehmenden aus verschiedenen Versicherungshäusern diskutierten zentrale Themen wie Impact Investing, Dekarbonisierungsstrategien in der Kapitalanlage, Biodiversität und Taxonomie-Konformität.
Durch die beiden Tage leiteten Matthias Warmuth (Versicherungsforen Leipzig) und Dr. Benjamin Hübel (HUK-COBURG Asset Management GmbH).
Biodiversität als neuer Faktor für Investoren
CANDRIAM, als Marktführer im Bereich nachhaltige Investments, sieht Biodiversität als ein entscheidendes Thema. Der Verlust an Artenvielfalt, der Schutz indigener Völker und der Zustand der Ökosysteme haben direkte wirtschaftliche Auswirkungen. Als Beispiel führte Czupryna die Landwirtschaft an, die auf das Bestäuben durch Insekten angewiesen ist.
Ein Problem für Investoren ist die Messbarkeit von Biodiversität. Erste Modelle wie die "Biodiversity Assessment Matrix" von CANDRIAM sollen die Auswirkungen von Unternehmen auf die Biodiversität abbilden. Hierbei wird die Kennzahl "MSA qm Verlust" genutzt, welche die theoretische Zerstörung eines Quadratmeters unberührter Natur beschreibt. Durch diese Kennzahl soll es möglich werden, die Aktivitäten der Unternehmen zu bewerten, um mögliche Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Dabei werden auch vorgelagerte Prozesse berücksichtigt, wie die Futterproduktion von Tierfleischfabriken, um so ein ganzheitliches Bild zu erhalten.
Ein wichtiger Punkt: Biodiversität ist ein lokales Thema. Ziele müssen daher standortspezifisch definiert werden. Für Versicherer bedeutet das, sich bereits heute mit den langfristigen Risiken der Biodiversitätszerstörung für ihre Portfolios auseinanderzusetzen.
Engagement oder Ausschluss? Strategien der Kapitalanlage
Engagement oder Ausschluss? Die Teilnehmenden waren sich bei der Gruppendiskussion einig: Engagement ist eine effektive Strategie, aber personal- und zeitintensiv.
Weitere Themen der Diskussion waren:
- ESG-Integration in der Kapitalanlage
- Prozessuale Herausforderungen durch regulatorische Rahmenbedingungen
- Interne Durchdringung des ESG-Themas bei Versicherern und deren Kunden
Eine zentrale Herausforderung: Viele Kunden haben Nachhaltigkeitspräferenzen, können den ESG-Begriff jedoch kaum einordnen.
Das sagt die Wissenschaft zu Engagement in der Kapitalanlage
An die Diskussion schloss sich ein wissenschaftlicher Impuls von Prof. Dr. Marco Wilkens (Universität Augsburg, Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung) an. Er beleuchtete das Thema „Engagement versus Divestment" aus wissenschaftlicher Perspektive.
Der Experte unterscheidet zwischen:
- Impact erster Ordnung (negativer Impact): Der aktuelle Impact eines Unternehmens (z. B. CO2-Emissionen)
- Impact zweiter Ordnung (positiver Impact): Die Reduktion dieses Impacts durch Engagement
Eine Studie aus dem Jahr 2020 ergab, dass 84 Prozent der 400 befragten Investoren Engagement betreiben, meist durch Voicing (Dialog mit Unternehmen) und weniger durch Voting (Stimmrechtsausübung). Die konkrete Wirkung von Engagement bleibt schwer messbar, aber nicht unwirksam. Auch eine grüne Portfolioallokation hat positiven Impact, wenngleich die Messbarkeit herausfordernd ist.
Dr. Julian Kölbel (Universität St. Gallen) stellte Konzepte aus seinem "Investor's Guide to Impact" vor. Eine zentrale Erkenntnis: „You can grow green companies or improve brown companies."
Kapitalgeber können Unternehmen mit positivem Impact finanzielle Mittel bereitstellen, um deren Wachstum zu fördern. Gleichzeitig können sie "braunen" Unternehmen helfen, nachhaltiger zu werden.
Ein Beispiel: Der chinesische Erdgas- und Mineralölproduzent Sinopec hat durch Investorendruck begonnen, Methanemissionen zu reduzieren. Solche Maßnahmen bergen enormes Potenzial.
Fazit: ESG-Implementierung bleibt eine Herausforderung
Die Diskussionen der User Group zeigen: Die ESG-Integration in der Kapitalanlage erfordert strategische Entscheidungen, Fachwissen und langfristige Perspektiven. Die Themen Biodiversität, Kreislaufwirtschaft und Impact Investing gewinnen dabei weiter an Bedeutung.
Das nächste Arbeitstreffen findet am 8. und 9. Mai 2025 in Leipzig statt. Auf der Agenda stehen praxisnahe Themen, darunter die CSRD-Berichterstattung, die Nutzung der Taxonomie-Verordnung sowie die Integration von ESG-Kriterien in die strategische Asset-Allokation (SAA). Ein weiterer Fokus liegt auf der nachhaltigen Umsetzung von Fixed Income und Private Markets. Neben den inhaltlichen Diskussionen bietet das Arbeitstreffen Gelegenheit zum persönlichen Austausch und Networking zu den Themen der Teilnehmenden.