Der Versicherungsmarkt Polen im Blick

Mittel- und Osteuropa hat sich seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Strukturen im Jahr 1990 stark gewandelt. Unter demokratischen Regierungen und einer marktwirtschaftlichen Ordnung nähern sich viele der zugehörigen Länder den westlichen Standards an und haben sich im Laufe der Zeit zu Global Playern entwickelt. Vor allem Polen hat sich hier positiv hervorgetan – das Land nimmt in der EU auch dank durchgängigem und beachtlichem Wirtschaftswachstum eine zunehmend wichtige Position ein. Das wirkt sich natürlich auch auf den Versicherungsmarkt aus. 2015 haben wir den polnischen Markt schon einmal ins Auge gefasst, daran anknüpfend sollen in diesem Beitrag die ökonomischen Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Branche aus heutiger Perspektive vorgestellt werden.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Strategie & Innovation
Themen:
Internationalisierung Unternehmensstrategie
Der Versicherungsmarkt Polen im Blick

Was macht Polen für Versicherer so attraktiv?

Florierende Wirtschaft

Inzwischen hat sich Polen zu einem der internationalsten Versicherungsmärkte entwickelt. Dort sind nahezu alle großen Versicherungsgruppen der Welt mit ihren Tochtergesellschaften vertreten, denn dort finden sie aufgrund der positiven Wirtschaftslage auch gute Wachstumsbedingungen vor.[1] Polen verzeichnet unter anderem seit Jahren ein durchgehend wachsendes BIP. So auch 2019 mit 522 Mrd. Euro[2] und einem Anstieg von 4,1 Prozent zum Vorjahr.[3] Damit liegt es in der für Polen üblichen Spanne von zwei bis sieben Prozent.1 Nach einem pandemiebedingten Tief von rund 2,8 Prozent im vergangenen Jahr könnte Polen ausgehend von einer Prognose der polnischen Nationalbank NBP Ende 2021 sogar als einziger EU-Staat erneut das Vorkrisenniveau erreichen. Es wird mit einem Anstieg von 4,1 Prozent gerechnet. Hinzu kommen die mit 3,1 Prozent im EU-Vergleich niedrigste Arbeitslosenquote,[4] kontinuierliche Lohnanstiege und starke Exportleistungen.[5] Auch wenn die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) diese Erfolge gerne für sich beansprucht, so sind die Faktoren das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung und nicht einer einzelnen Regierung zuzusprechen, wie Kai-Olaf Lang von der Forschungsgruppe EU-Integration bei der Stiftung Wissenschaft und Politik festgestellt hat.2

Digitalisierung ist mehr als ein Buzzword

Weitere Attraktivitätspunkte gewinnt der polnische Markt mit gut ausgebildeten Programmierern und Entwicklern hinzu. Diese Expertise machen sich auch polnische Versicherer zunutze: Grundlegend modernisierte Back-End-Systeme, automatisiertes und dadurch effizientes Arbeiten mit geringer Kostenquote gehören längst zum Standard. Ein agiles Projektmanagement nach US-amerikanischem Vorbild, Ehrgeiz und Fleiß tragen dazu bei, diesen auch weiterhin halten zu können. Ausländische Versicherer ziehen deshalb nach und beziehen die polnische Entwicklerszene vor allem beim Ausbau ihres digitalen Geschäfts mit ein. Das Land hat sich zu einem gefragten Outsourcing-Standort entwickelt. [6]

Einer der aufstrebendsten Versicherungsmärkte Mittel- und Osteuropas

Die gute Wirtschaftslage spiegelt sich auch auf dem Versicherungsmarkt wider. Aus der von der Swiss Re veröffentlichten Expertenpublikation sigma 04/20202 geht hervor, dass Polen einer der wichtigsten aufstrebenden Märkte Europas ist. Mit einem Bruttoprämienvolumen von 13,96 Mrd. Euro im Jahr 2019 hängt es andere Mittel- und Osteuropäischen Staaten wie die Tschechische Republik (7,22 Mrd. Euro), Ungarn (3,91 Mrd. Euro), Slowenien (2.8 Mrd. Euro) oder die Slowakei (2,49 Mrd. Euro) deutlich ab. Aus Sicht des Weltmarkts entspricht diese Summe einem Anteil von 0,25 Prozent. Zum Vergleich, Deutschland kommt mit 217,853 Mrd. Euro auf 3,88 Prozent.

Auch wenn der polnische Markt eine relativ hohe Prämiensumme vorweisen kann, bei der Versicherungsdichte besteht noch Luft nach oben. Gerade einmal 368 Euro gaben die polnischen Bürger 2019 im Schnitt pro Kopf dafür aus. Die Einwohner Sloweniens beispielsweise kommen hingegen auf deutlich mehr, nämlich 1.194 Euro. Dennoch zeigt sich in Polen auf lange Sicht auch hier ein Positivtrend, denn seit 2004 ist die Versicherungsdichte um ganze 120 Prozent gestiegen.

Der polnische Markt bald in österreichischer Hand?

Mit Blick auf die Marktteilnehmer zeigt sich, dass es vor allem die österreichischen Versicherer sind, die auf den polnischen Markt setzen und dort neben ihrem Ursprungsland ihr Kerngeschäft erzielen.[7] So hat beispielsweise der Versicherungskonzern Uniqa durch den Zukauf des Privat- und Firmenkundengeschäfts der AXA im vergangenen Jahr allein in Polen etwa 3 Millionen neue Kundinnen und Kunden dazugewonnen. Während der Markt in Österreich etwas schwächelt, verzeichnet Polen hingegen Wachstumsraten von 6,2 Prozent,[8] und zeigt sich damit als attraktive Expansionsoption.

Ein weiterer großer Mitspieler im Versicherungsgeschäft stammt daher ebenfalls aus Österreich, die Vienna Insurance Group VIG. Auch sie setzt auf Zukauf und baut ihren Marktanteil stetig aus. Laut eigener Aussage belegte die Versicherungsgruppe 2019 mit einem Anteil von 8,1 Prozent den vierten Platz am Gesamtmarkt.[9]

Damit reicht sie allerdings nicht an den Marktführer PZU heran. Der staatliche Versicherer ist tief in Polen verwurzelt und nimmt 2019 am Versicherungsmarkt einen beachtlichen Anteil von 32 Prozent ein.[10] Diese Vormachtstellung wird auch in absehbarer Zeit bestehen bleiben. Selbst wenn die ausländischen Konkurrenten durch die fortgesetzte Konsolidierung des Marktes weiter aufholen, der Vorsprung ist derzeit noch zu enorm.

Krankenversicherung als vielversprechende Sparte

Vor allem der Gesundheitsmarkt in Polen ist für Versicherer und Unternehmen aus dem Ausland interessant, denn durch EU-Fördermittel und Regierungsmaßnahmen werden derzeit einige Veränderungen vorangetrieben. Dies zeigt eine aktuelle Studie von Germany Trade & Invest im Auftrag der Exportinitiative Gesundheitswirtschaft.[11] So sollen mithilfe eines neu gegründeten staatlichen Gesundheitsfonds zwischen 2021 und 2029 bis zu 950 Millionen Euro jährlich in die Modernisierung von Krankenhäusern und die Unterstützung teurer Therapien fließen, was auch als Reaktion auf die Corona-Krise zu verstehen ist.

Auch die Krankenversicherung wird durch solch einen Fonds geregelt, den nationalen Gesundheitsfonds (Narodowy Fundusz Zdrowia, kurz NFZ) – die staatliche und einzige Krankenkasse, verpflichtend für alle polnischen Bürgerinnen und Bürger. Allerdings steht das Gesundheitssystem seit langem in der Kritik. Lange Wartezeiten auf Termine, hohe Zuzahlungen, schlechte Behandlungsqualität und Korruption sind keine Ausnahme, sie gehören zum Alltag.[12] Immer wichtiger wird daher eine private Krankenzusatzversicherung außerhalb des staatlichen Monopols. Für etwa 40 Euro im Monat erhalten Versicherte unter anderem Zugang zu privaten und besser ausgestatteten Arztzentren.14 [13] Seit 2014 steigt die Zahl der privatversicherten Personen immens an.16 Die polnische Versicherungskammer, Polska Izba Ubezpieczen (PIU) zählte 2019 3,02 Millionen Versicherungsnehmer.[14]

Laut dem Marktforschungsinstitut PMR wird das Wachstum der Assekuranz in diesem Bereich in den kommenden Jahren weiter anhalten.15 Grund genug, auch als ausländischer Versicherer diese Entwicklung im Blick zu behalten.

 

Quellen: 

[1] VWheute: Versicherungsmarkt Polen: In Warschau auf Brautschau (invalue.de)

[2] sigma 4/2020 (swissre.com)

[3] Wirtschaftslage in Polen - Auswärtiges Amt (diplo.de)

[4] Trotz Pandemie: Warum Polen die Corona-Krise so gut meistert - ZDFheute

[5] Analyse: Realisiert Mateusz Morawiecki den "Morawiecki-Plan"? Die Wirtschaftspolitik der PiS-Regierung nach zweieinhalb Jahren im Amt | bpb

[6] » Warum es Versicherer nach Polen zieht Herbert Frommes Versicherungsmonitor

[7] Uniqa kauft Osteuropa-Geschäft der Axa (handelsblatt.com)

[8] Österreichischer Versicherer Uniqa zahlt eine Mrd. Euro an Axa für das Osteuropa-Geschäft - Versicherungswirtschaft-heute (versicherungswirtschaft-heute.de)

[9] Polen - Vienna Insurance Group Konzernbericht 2019 (geschaeftsbericht.vig)

[10] Najgorsze i najlepsze firmy ubezpieczeniowe w 2019 roku (wyborkierowcow.pl)

[11] Mittelosteuropas größter Gesundheitsmarkt wird digitaler | Studie | Polen | Gesundheitswirtschaft (gtai.de)

[12] Polens Gesundheitssystem vor der nächsten Reform • Polen.pl - Nachrichten und Hintergründe aus Polen (polen-pl.eu)

[13] In Polen steigt die Nachfrage nach privaten Krankenversicherungen | Branchenbericht | Polen | Gesundheitswesen, übergreifend (gtai.de)

[14] ubezpieczenia-w-liczbach-2019.pdf (piu.org.pl)

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Marie Webers
Marie Webers
Versicherungsforen Leipzig
Marie Webers ist seit November 2020 im Team "Unternehmenskommunikation und Partnerbetreuung" der Versicherungsforen Leipzig als Werkstudentin tätig. Sie unterstützt die redaktionelle Pflege der Website und wirkt an weiteren redaktionellen Arbeiten der Versicherungsforen Leipzig mit. Derzeit absolviert sie ein Masterstudium im Bereich Medien- und Instruktionspsychologie an der Technischen Universität Chemnitz.