Die Stellhebel der Assekuranz bei Nachhaltigkeit – Im Interview mit Monika Sebold-Bender

Im Interview spricht Monika Sebold-Bender über die zentrale Rolle der Versicherungswirtschaft bei der Transformation hin zu einer lebensfördernden Zukunft.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Strategie & Innovation
Themen:
Nachhaltigkeit
Die Stellhebel der Assekuranz bei Nachhaltigkeit – Im Interview mit Monika Sebold-Bender

Monika Sebold-Bender hat mehr als 25 Jahre Führungserfahrung in der Versicherungswirtschaft, unter anderem als Vorständin der Ergo Group und Generali Deutschland. Heute ist sie Aufsichtsrätin in verschiedenen Unternehmen sowie Mitglied der Deutschen Gesellschaft Club of Rome und Geschäftsführerin deren Projekt GmbH. Im Interview spricht sie darüber, welche Rolle die Versicherungswirtschaft für mehr Nachhaltigkeit hat, welche Stellhebel sie dafür nutzen kann, ob die Branche beim Thema Diversity gut aufgestellt ist – und wie ihre Kindheit in Berchtesgaden ihre Einstellung zum Thema Nachhaltigkeit geprägt hat.

Wir freuen uns auch auf die Keynote „Sustainable Insurance: Zeit zum Handeln!“ von Monika Sebold-Bender, mit der die Sustainable Insurance Convention am 28. Februar 2023 eröffnet wird.

Kannst du dich erinnern, wann du das erste Mal mit dem Begriff Nachhaltigkeit in Berührung gekommen bist?

Es ist schwierig, einen Zeitraum festzulegen, wann ich mit dem Begriff das erste Mal in Berührung gekommen bin. Der Begriff selbst hat sich ja sehr gewandelt von einem Terminus Technicus der Forstwirtschaft zu einem Konzept, wie wir als Gesellschaft leben wollen.

Dem Begriff in seiner umfassenden Bedeutung begegnete ich das erste Mal bewusst in einer Diskussion mit einer Freundin Ende des letzten Jahrtausends. Sie war für Übersetzungen Deutsch-Englisch und vice versa bei der UN in New York zuständig und berichtete von ihren Schwierigkeiten bei der Übersetzung der Begriffe Sustainability – Nachhaltigkeit.

In meiner Jugend ist er mir allerdings auch schon begegnet. Ich stamme aus Berchtesgaden. Im Talkessel von Berchtesgaden wurde bis in das 19. Jahrhundert die Sole, die beim Salzbergbau entstand, in einer Saline über Holzfeuer versiedet, um das Salz zu gewinnen. Dafür wurden Wälder abgeholzt. Die Auswirkungen waren gravierend und führten zur Erkenntnis, dass man eine nachhaltige Forstwirtschaft benötigt. Das lernte ich als kleines Kind im Heimatkundeunterricht. Mit der Diskussion rund um den Nationalpark Berchtesgaden in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts war ich dann mit einer weiteren Facette, nämlich Biodiversität, konfrontiert, aber auch mit einem erheblichen Widerstand der breiten Bevölkerung gegen den Nationalpark. Heute ist man stolz auf den Nationalpark.

Warum erwähne ich das? Für mich sind die Beispiele aus dem Brennglas Berchtesgaden ein ermutigendes Signal, dass Gesellschaften lernen können, in längerfristigen Zyklen zu denken sowie die Bedeutung einer intakten Natur zu schätzen und sich dafür aktiv zu engagieren.

Du bist Mitglied der Deutschen Gesellschaft Club of Rome sowie Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft Club of Rome Projekt GmbH. Die Kernfrage der Organisation lautet „Wie sieht eine lebensfördernde Zukunft aus und wie können wir sie erreichen?“ Wie würdest du diese Frage für dich persönlich beantworten?

Für mich ist eine lebensfördernde Zukunft, eine Zukunft die allen – Menschen, Tieren, Pflanzen – einen Platz auf unserem Planeten bietet und Lebendigkeit fördert.

Dazu müssen wir – die Menschheit – Strukturen schaffen, die sicherstellen, dass wir unsere Lebensgrundlagen nicht zerstören und dass jeder Mensch innerhalb dieser Strukturen eine Chance bekommt, gut und sicher zu leben sowie seine Träume zu verwirklichen.

Was das konkret bedeutet? Ich bin überzeugt davon, dass sich das konkrete Bild immer wieder etwas verändern wird. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns alle auf diesem Planeten GEMEINSAM und mit RESPEKT voreinander auf den Weg machen in diese lebensfördernde Zukunft. Jeder sollte in sich hineinhorchen und reflektieren: Was erzeugt Lebendigkeit in mir und um mich herum? Diese Frage auch anderen stellen und so voneinander lernen, einander zuhören und gemeinsam Lösungen finden. So können wir füreinander Verantwortung übernehmen und uns wechselseitig helfen.

Der erste Schritt ist sicherlich die Baustellen anzugehen, die offensichtlich einer lebenswerten Zukunft im Wege stehen – Ungleichheit einerseits und klimatischer und ökologischer Notstand andererseits.

Einen Weg dazu zeigt der Bericht des Club of Rome „Earth for all” auf in den fünf außerordentlichen Kehrtwenden:

  1. Beendigung der Armut
  2. Beseitigung der eklatanten Ungleichheit
  3. Empowerment der Frauen
  4. Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems
  5. Übergang zum Einsatz sauberer Energie

Ich bin überzeugt davon, dass es sinnvoll ist, staatliches, aber auch unternehmerisches und sogar individuelles Handeln daran zu orientieren und diese außerordentlichen Kehrtwenden zu befördern. Ein kontinuierlicher Dialog zwischen Unternehmen unterschiedlicher Branchen, staatlichen Stellen, NGOs und Wissenschaft, den wir in der Deutschen Gesellschaft Club of Rome e.V. und mit unserer Projekt GmbH fördern, hilft dabei ein holistisches Bild zu gewinnen und sinnvolle Schritte anzugehen.

Welche Rolle spielt die Versicherungswirtschaft für eine lebensfördernde Zukunft?

Der Versicherungswirtschaft kommt eine zentrale Rolle zu. Sicherheit ist DAS Kernelement des Geschäftsmodells der Versicherungswirtschaft. Sicherheit definiert auch die Bedeutung bzw. den Zweck der Versicherungswirtschaft in unseren Gesellschaften.

Sie hilft Menschen mit Sach-, Haftpflicht, Leben- und Krankenprodukten, ihre individuellen Risiken abzufedern. Die Palette der Gewerbe- und Industrieversicherungsprodukte ermöglicht unternehmerisches Handeln durch Übernahme von unwägbaren Risiken und sichert Investitionen gegen Totalverlust durch z.B. Naturkatastrophen oder auch menschliches Fehlverhalten ab.

Unsere Produkte sind damit ein wesentlicher Teil einer lebensfördernden Zukunft – eines guten und SICHEREN Lebens.

Wir – die Versicherungsbranche – spielen aber auch bei der Transformation hin zu einer lebensfördernden Zukunft eine zentrale Rolle. Wir haben dazu mehrere Stellhebel:

  1. Finanzierung des Umbaus über unsere Kapitalanlagen, z.B. durch gezielte Investitionen in gesunde Nahrungsmittelproduktion, die mit Biodiversity vereinbar sind
  2. Stimulanz von Veränderung über Underwriting und Versicherungslösungen, z.B. Versicherungsschutz für Neue Technologien im Kontext CO2-Reduzierung
  3. Know-how und Daten zu Risikomodellierung, -analyse und Prognose von Risiken, z.B. Analyse von Umweltauswirkungen auf Gesundheit
  4. Wandel und Umsetzung im Unternehmensalltag, z.B. klimaneutraler Geschäftsbetrieb

Zusammenfassend: Die Versicherungswirtschaft spielt eine zentrale Rolle auf dem Weg HIN ZU einer lebensfördernden Zukunft und IN einer lebensfördernden Welt.

Mit deinen mehr als 25 Jahren Führungserfahrung in der Versicherungswirtschaft, auch in Vorständen auf Aufsichtsräten: Wie haben sich die Themen Diversity und Inclusion in der Branche entwickelt?

Es hat sich vor allem in den letzten fünf Jahren viel getan. Der gesellschaftliche Wandel hat auch in der Versicherungswirtschaft seinen Widerhall gefunden. Vieles, was ich als weibliche Führungskraft und als weiblicher Vorstand noch alltäglich erlebt habe, ist heute nicht mehr auch nur denkbar. Gerade für Frauen hat sich viel verändert. Es gibt deutlich mehr weibliche Vorstände und Führungskräfte der oberen Ebenen. Unternehmen wie die Allianz haben hier Zeichen gesetzt und viele Versicherungsunternehmen sind dem Beispiel gefolgt. Dem Thema Diversity & Inclusion kann sich mittlerweile kein Unternehmen mehr entziehen, wenn es um Gender Equality geht. Es ist zumindest ein Diskussionspunkt und Unternehmen, die hier keinen Fortschritt zeigen, sind in einem Rechtfertigungsdruck.

Die Umsetzung ist aber noch meilenweit von einem Zustand entfernt, der für die Versicherungswirtschaft gesund wäre. Diverse, gut funktionierende Teams und Führungsmannschaften sind von zentraler Bedeutung für die Rolle der Versicherungswirtschaft beim Umbau hin zu einer lebensfördernden Zukunft. Wir – die Versicherungswirtschaft – brauchen den Blickwinkel und die Begabungen aus allen Teilen der Bevölkerung auf jeder Ebene der Unternehmen. Das heißt, neben einer höheren Beteiligung von Frauen brauchen wir auch eine deutlich diversere Aufstellung bzgl. anderer Kriterien, wie Herkunft, sozialer Mobilität, Ausbildungshintergrund oder auch Zugehörigkeit zu marginalisierten Gruppen, wie LGBT+.

Wie viele Vorstandsmitglieder ohne akademische Ausbildung kennst du? Wie viele Vorstandmitglieder kennst du, deren Eltern oder Großeltern in den letzten 60 Jahren aus der Türkei zugewandert sind? Wie viele Vorstandsmitglieder kennst du, die in einem der neuen Bundesländer geboren und aufgewachsen sind? Wie viele Vorstandsmitglieder mit einer naturwissenschaftlichen Ausbildung kennst du?

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