Vom Schadenprozess zur Preisgestaltung: Wüstenrots Weg mit KI

Wüstenrot-Vorstand Christian Zettl über KI in der Praxis: schnellere Prozesse für Kunden, regulatorische Hürden und das enorme Potenzial für die Preisgestaltung.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Analytik & IT
Themen:
KI / AI / künstliche Intelligenz ChatGPT / Generative AI Prozessmanagement Agenturberatung
Vom Schadenprozess zur Preisgestaltung: Wüstenrots Weg mit KI

Wie Wüstenrot KI bereits heute in Kernprozessen nutzt und welche Hürden den schnellen Rollout bremsen, erklärt Christian Zettl, Vorstand der Wüstenrot Versicherungs-AG Österreich, im Interview. Von der automatisierten Schadenmeldung bis zur Dokumentation von Vorschäden – KI soll vor allem die Prozesse für Kunden beschleunigen. Doch der Weg dorthin ist anspruchsvoll.

Technische Integration, Regulatorik durch DORA und EU AI Act sowie die Datenqualität sind zentrale Herausforderungen. „Hohe Qualität an Daten und ständige Verfügbarkeit sind eine Grundvoraussetzung bei diesen Projekten, hier zeigt sich aber bei uns, dass noch viel Arbeit vor uns liegt“, so Zettl. Dennoch ist er überzeugt, dass KI die Branche fundamental verändern wird – insbesondere bei der Risikosteuerung und Preisgestaltung, die künftig „in Echtzeit auf unstrukturierten Daten erfolgen“ können. Das Interview gibt Einblicke in den Transformationsprozess zwischen Praxis und Potenzial.

Welche konkreten KI-Anwendungen setzt Wüstenrot aktuell in den Vertrags- und Schadenprozessen ein? Welchen Mehrwert bieten diese für Kundinnen, Kunden sowie die internen Abläufe?

In der Wüstenrot setzen wir unterschiedliche Systeme ein, in Vertragsprozessen erleichtern wir unseren Kundinnen und Kunden durch ein KI-gestütztes Tool die Dokumentation von Vorschäden in der Kfz-Kaskoversicherung. Außerdem erzielen wir mittlerweile große Erfolge in der Indexierung und Automatisierung der Erstkommunikation der Kundinnen und Kunden an uns. Durch eine KI-Anwendung können wir unabhängig vom Meldemedium (E-Mail, PDF, Scan, Fotos) strukturierte und digitalisierte Daten erzeugen. Dadurch kann die Servicebereitstellung ohne großen Systembruch schnell und effizient erfolgen.

Der Mehrwert für den Kunden zeigt sich hier vor allem in der Schnelligkeit der Prozesse. Daten werden automatisiert in Backendsysteme integriert, fehlende Daten werden automatisiert für die Kundenkommunikation vorbereitet. Insbesondere zeichnet sich eine deutliche Flexibilisierung der elektronischen Eingangskanäle ab und der Kunde hat wieder mehr Möglichkeiten, sein Anliegen zu übermitteln.

Mit welchen technischen und organisatorischen Herausforderungen sehen Sie sich bei der Integration von KI in das Schadenmanagement und die Tarifierung konfrontiert? 

Bei den technischen Herausforderungen ist auf der einen Seite die Anbindung und Integration von KI-Lösungen in die jeweiligen Prozesse immer wieder eine Herausforderung, auf der anderen Seite ist bei der Auswahl von Partnern organisatorisch enorm viel Arbeit zu leisten, um allen Regulatorien zu genügen. DORA und der AI Act machen hier hinsichtlich Vertragserstellung, Auslagerungsprüfungen und IKT-Kontrollen einen Hauptteil der Initialarbeiten aus. Das bremst mitunter immer wieder den schnellen Einsatz von Lösungen.

Eine weitere organisatorische Herausforderung stellen Daten dar, insbesondere wenn man KI in Schaden- und Pricing-Prozessen implementieren möchte. Hohe Qualität an Daten und ständige Verfügbarkeit sind eine Grundvoraussetzung bei diesen Projekten, hier zeigt sich aber bei uns, dass noch viel Arbeit vor uns liegt.

In welchem Umfang verändert KI die Steuerung von Versicherungsrisiken und die Preisgestaltung bei Ihnen und welche neuen Steuerungsinstrumente entstehen dadurch?

Die Steuerung von Versicherungsunternehmen und die Preisgestaltung werden sich fundamental ändern. Pricing-Modelle und die Optimierung von kommerziellen Tarifen können durch neue Ansätze deutlich komplexer und damit auch feiner gesteuert werden.

Durch das Einbeziehen von Pricing-Agenten wird sich das Monitoring und die Steuerung deutlich verändern. Wurde bisher hauptsächlich auf aggregierten Daten anhand von Tarifvariablen die Preissteuerung vollzogen, so kann dies in Zukunft in Echtzeit auf unstrukturierten Daten erfolgen. Damit wird die Schnelligkeit in Preisoptimierungen deutlich erhöht und es kann viel schneller reagiert werden.

Auch im Schaden zeichnen sich neben der Steigerung in der Effizienz und damit kostengünstigeren Bearbeitung deutliche Fortschritte ab. Sachverständige und Gutachter sind in vielen Fällen durch KI-Lösungen ersetzbar und werden in den Kosten spürbare Entlastung bringen. KI-Lösungen werden auch in der Erkennung von Betrugsfällen und dem Finden von Regresspotenzialen Einzug finden.

Welche konkreten Innovationen und Entwicklungen im Bereich KI plant Wüstenrot in den kommenden Jahren, um die Versicherungsprozesse weiter zu optimieren?

Schaden wird weiterhin eine hohe Aufmerksamkeit genießen. Wir sind gerade dabei, Lösungen im Bereich Betrugsfälle zu implementieren, ebenso sollen uns KI-Lösungen im Bereich von Schadenablösen (fiktive Abrechnung, Anm. d. Red.) in Kfz helfen.

In Underwriting-Prozessen sollen uns KI-Lösungen insbesondere bei besserer Einschätzung von Risiken helfen, d.h. die Bestimmung von Versicherungssummen soll unter Einbeziehen verschiedenster Datenquellen für den Kunden sicherer gestaltet werden. Ein weiteres Feld, wo wir als Branche noch am Anfang stehen, ist mit Sicherheit das Thema Schadenvermeidung beim Kunden selbst. Hier erhoffe ich mir in den nächsten Jahren einen deutlichen Sprung bei Lösungen, die uns und dem Kunden helfen, Schäden frühzeitig erkennen zu können und damit hohe Schäden zu vermeiden.

In der Verwaltung selbst sehe ich hohes Potenzial bei vielen Standardprozessen, sei es Regulatorik, Unternehmenssteuerung, Produktentwicklung etc.

Wie beurteilen Sie die Anforderungen der EU-KI-Verordnung, und welche Auswirkungen erwarten Sie auf die Nutzung von KI-Technologien im Unternehmen?

Als Unternehmen müssen wir mit der KI-Verordnung arbeiten und sie bestmöglich leben. Eine Beurteilung erscheint mir daher wenig sinnvoll. Natürlich hat die Verordnung Auswirkungen auf uns als Unternehmen, das hat es aber auch auf alle anderen Marktteilnehmer. Als regionaler Versicherer, der nicht im globalen Wettbewerb steht, ist das vielleicht auch einfacher als ein großer paneuropäischer Player, der mit US-Amerika oder Asien in Wettbewerb steht.

Vielen Dank für das Interview!

Mehr dazu, wie die Wüstenrot KI in ihre Kernprozesse integriert, können Sie in der Keynote von Christian Zettl beim Messekongress IT für Versicherungen am 25./26. November 2025 in Leipzig erfahren. Der Messekongress ist der führende Branchentreff für IT-Verantwortliche der Versicherungsunternehmen und IT-Dienstleister. In diesem Jahr erwarten wir 500 Teilnehmende, 50 Aussteller sowie 85 Speaker. Zu den weiteren Highlights gehört die Keynote von Prof. Dr. Oliver Thomas von der Universität Osnabrück zum Thema „Künstliche Intelligenz – vom Hype zur strategischen Realität: ein ganzheitlicher Ansatz für die Versicherungs-IT“, themenspezifische Fachforen, Vorstellungen von IT-Start-ups und eine große Ausstellermesse.