Nachhaltigkeit im Vertrieb: Am Point of No Return

Ab dem 02. August 2022 ist Nachhaltigkeit ein verbindliches Thema im Beratungsprozess von Versicherungsanlageprodukten. Was das bedeutet, erfahren Sie im Beitrag.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Strategie & Innovation
Themen:
Nachhaltigkeit Versicherungsvertrieb
Nachhaltigkeit im Vertrieb: Am Point of No Return

Die Risikosituation auf der Erde verschärft sich und die katastrophalen Folgen des Klimawandels sind auch in Deutschland und Europa immer mehr zu spüren. Vollständig aufhalten lässt sich die menschengemachte Erderwärmung längst nicht mehr – um sie jedoch so weit wie möglich einzudämmen und die dauerhafte Belastung der Umwelt drastisch zu reduzieren, unterzeichneten fast alle Staaten der Erde 2015 das Pariser Klimaabkommen. Dieses beinhaltet unter anderem das Ziel, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken; eine Maßnahme, deren Notwendigkeit auch immer wieder durch den Weltklimarat IPCC bestätigt wird. Als Vertragspartner hat sich die EU dem Versuch der Einhaltung dieses Zieles verpflichtet, geht aber noch weiter und setzt sich ambitionierte Ziele: So soll sich die Europäische Union bis 2050 in eine klimaneutrale Wirtschaft verwandeln. Dieser Prozess erfordert massive Investitionen in erneuerbare Energien und betrifft so unmittelbar das Finanzsystem – immerhin verwaltet dieses den Großteil der weltweiten Assets. Diesbezüglich verfolgt die EU drei Ziele: die Ausrichtung der Kapitalflüsse auf den Umbau zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, die Integration von Nachhaltigkeit in das Risikomanagement und die Förderung von Transparenz bei nachhaltigen Finanzprodukten. Um diese Ziele umzusetzen, wurden im Rahmen des ersten EU-Aktionsplans bereits einige Änderungen eingeführt. Nun steht eine weitere Neuerung unmittelbar bevor: Die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsfaktoren, -risiken und -präferenzen erhält Einzug in den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten.

Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen wird zur Pflicht

Ab dem 2. August 2022 ist Nachhaltigkeit ein verbindliches Thema im Beratungsprozess von Versicherungsanlageprodukten. Diese Änderung hatte ihren Ursprung bereits 2019 mit einem EU-Entwurf zur Änderung der Insurance Distribution Directive (IDD) und wurde nun durch die Veröffentlichung der Verordnung (EU) 2021/1257 vom 21. April 2021 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2358 und (EU) 2017/2359 abschließend umgesetzt. Am Ende dieses Prozesses steht eine klare Idee: Die zusätzliche Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen erweitert das magische Dreieck der Geldanlage, bestehend aus Rentabilität, Sicherheit und Verfügbarkeit (Liquidität), gewissermaßen zum Viereck.

Was beinhaltet dieses Inkrafttreten der Verpflichtung zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden aber genau? Die Antwort: Die Entscheidung des Kunden darüber, ob und inwieweit ein Finanzprodukt der folgenden drei Kategorien einbezogen werden sollte:

  1. Finanzinstrumente, die einen Mindestanteil an Wirtschaftstätigkeiten im Sinne der Taxonomie-Verordnung beinhalten,
  2. Finanzinstrumente, die einen Mindestanteil an nachhaltigen Investitionen im Sinne der Offenlegungsverordnung beinhalten oder
  3. Finanzinstrumente, bei denen die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren im Sinne des Kundenwunsches berücksichtigt werden.

Berücksichtigung müssen die erhobenen Nachhaltigkeitspräferenzen ebenso in der Eignungs- bzw. Angemessenheitsbeurteilung finden. Schließlich darf der Vermittler auf keinen Fall eine Produktempfehlung aussprechen, die den bereits herausgearbeiteten Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden entgegenstehen. Sollte dieser Fall dennoch eintreten, ist der Vermittler dazu verpflichtet, dem Kunden eine kurze Begründung hierfür zu geben und entsprechend zu dokumentieren. Will der Kunde   seine Nachhaltigkeitspräferenzen während des Beratungsprozesses anpassen, muss   das auch festgehalten werden.

Diese Änderungen der IDD betreffen jedoch nicht nur den Vertrieb, auch das Produktmanagement der Versicherungshäuser muss Anpassungen vornehmen. Demnach müssen zukünftig Nachhaltigkeitsfaktoren im Zuge der Zielmarktdefinition berücksichtigt, auf transparente Art und Weise beschrieben und dem Ver-trieb zur Verfügung gestellt werden. Außerdem sind diese Faktoren innerhalb der Produktprüfung und über den gesamten Produktlebenszyklus zu berücksichtigen.  Dies führt unweigerlich dazu, dass die Bereiche des Produktmanagements und des Vertriebs zukünftig noch stärker zusammenarbeiten müssen: Der Vertrieb kann nämlich nur das anbieten, was das jeweilige Produktportfolio hergibt. 

Status quo: Ein weiter Weg?

Wie sieht es aktuell in den Versicherungsunternehmen aus? Befinden sie sich bereits auf einem guten Weg bei der Einbindung von Nachhaltigkeitspräferenzen oder haben sie noch einiges vor sich? Eine Umfrage des Centers for Sustainable Insurance (CSI) vom Januar 2022 ergab, dass knapp 63 Prozent der befragten Versicherungsunternehmen das Ziel haben, Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil des Versicherungsbetriebs und dessen Prozesse zu etablieren. Für gerade einmal 4,1 Prozent der 530 teilnehmenden Unternehmen ist das allerdings bereits der Status quo. Die Mehrheit befindet sich ganz klar noch einige Schritte vor der vollständigen Integration: 39,4 Prozent gaben an, dass Nachhaltigkeitsaspekte aktuell nur punktuell vorhanden sind, die vollständige Integration in den Versicherungsvertrieb aber geplant ist. Dabei zeigte sich auch, dass der unternehmensweite Wissensaufbau/-transfer eine der größten Herausforderungen in der internen Umsetzung von Nachhaltigkeit im gesamtunternehmerischen Kontext darstellt.   

Die Zeit drängt

Fakt ist, die Wichtigkeit der Thematik ist in der Versicherungsbranche angekommen. Die Erweiterung der IDD ab dem 2. August macht nur noch einmal die Dringlichkeit deutlich: Um die Folgen des Klimawandels einzudämmen und das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, muss auch die Finanz- und Versicherungsbranche jetzt handeln. Der Klimawandel ist nicht mehr vollständig aufzuhalten. Dennoch ist ebenso klar: Die Finanz- und Versicherungsbranche kann durch die Umlenkung der Kapitalströme einen erheblichen Teil dazu beitragen, ihn zumindest einzudämmen. Auch wenn das Gap zwischen Status quo und Zielvorstellung bezüglich der Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in den Versicherungsbetrieb noch groß erscheint, gilt in diesem Kontext: Der Weg ist das Ziel!

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  •  Was will der Regulator?
  •  Was bietet der Markt?
  •  Welche Zielgruppen gibt es und was wollen die Kunden?


Unser Ziel ist es, dass die Vermittler mit der Onlineschulung einen optimalen Überblick bekommen und wissen, was sie im Kundengespräch zukünftig berücksichtigen müssen. Zudem werden sie für das Thema Nachhaltigkeit und die strategische Rolle in der Versicherungswirtschaft sensibilisiert.

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