Nachhaltigkeit in Versicherungen – ein langer Weg von der Vision zur Umsetzung
In dem Beitrag geben wir einen Einblick in die zentralen Impulse der Sustainable Insurance Convention.
Im Juni kamen in Leipzig erneut die Nachhaltigkeitsexpertinnen und Experten aus der Versicherungsbranche zusammen. Über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, davon 49 Referentinnen und Referenten, zeigten, was die Branche gerade in Sachen Nachhaltigkeit bewegt. Regulatorik, Produktgestaltung, Vertrieb, Kommunikation, Schadenmanagement, Strategie und Kapitalanlage – die Wirkungsbereiche sind vielfältig und somit sind es auch die Herausforderungen.
Im Beitrag werfen wir einen Blick zurück auf die Diskussionen der Sustainable Insurance Convention 2024 und geben einen Einblick in ausgewählte Diskussionen des Events. Wer tiefer einsteigen möchte, dem empfehlen wir einen Blick auf die LinkedIn-Seite des Center for Sustainable Insurance. Hier haben wir die Diskussionen ausführlich in einer Liveberichterstattung begleitet.
Nachhaltigkeit in Versicherungen – es braucht Ziele und KPIs
Svetlana Thaller-Honold, Leitung Nachhaltigkeitsmanagement bei der Gothaer Versicherungen VVaG, betonte in ihrer Keynote gleich zu Beginn der Veranstaltung, dass es entscheidend ist, Nachhaltigkeit in das Kerngeschäft der Versicherungen zu integrieren. Sie forderte mehr Tempo und weitreichende Verpflichtungen, um echte Fortschritte zu erzielen. Wichtige Maßnahmen umfassen die Entwicklung von Nachhaltigkeitsabteilungen und -berichten. Es sei essenziell, positive Nachrichten zu nutzen, Schritt für Schritt vorzugehen und andere zu inspirieren. Thaller-Honold zufolge wird „Zukunft aus Mut gemacht“. In diesem Sinne bleibt es nicht aus, mutig neue Wege zu gehen und eigene Erfahrungen zu machen.
Wo Ziele sind, da sollten auch entsprechende Kennzahlen vorhanden sein, um den eigenen Erfolg messbar zu gestalten. Sven Stark, Partner, Insurance Consulting, PwC GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, und Jens Metzinger, Nachhaltigkeitsbeauftragter bei Debeka Krankenversicherungsverein a. G., setzen auf die KPI-getriebene Steuerung bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele im Unternehmen. Insbesondere im Vertrieb fehle es oft an Steuerungsimpulsen. Jens Metzinger hielt fest, wie wichtig es sei, bereichsweise zu denken: Dass man nicht gleich als Gesamtunternehmen in „Stufe 3“ rücke, sei klar. Einmal mehr komme es auch auf die Operationalisierung der Strategie an: „Labels zu vergeben, ist schnell gemacht, die Arbeit dahinter nicht.“
Astrid Bayer, Nachhaltigkeitsbeauftragte der Provinzial Holding AG und Hannah Helmke, Co-Founder & CEO der right. based on science GmbH, zeigten, wie das Controlling der Zielerreichung Tool-gestützt erfolgen kann. Die Software °right unterstützt auf Basis des XDC-Modells Unternehmen dabei, ihr persönliches Emissionsbudget zu berechnen. Das Modell quantifiziert den Effekt von Maßnahmen, wie den Verzicht auf Flugreisen und überträgt diese in Gradangaben, denn auch im Pariser Klimaabkommen wird mit Gradangaben bei der Zieldefinition gearbeitet.
Impact Underwriting – neue Nachhaltigkeitspotenziale heben
Spannende Erkenntnisse zum Thema Impact Underwriting ergab die Podiumsdiskussion zum Thema „Corporate Carbon Footprint – Wo steht die Branche?“ mit
- Sina Brod (Moderation), Leitung Forschung & Beratung, Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima
- Danja Schockenhoff, Head of Strategic Risk & ESG Consulting, Marsh GmbH
- Ghislain Perisse, Global Head of Insurance Solutions, Fidelity International
- Petra Sandner, Chief Sustainability Officer, Helaba
- Ezio Fantuzzi, Head of Sustainability, Generali Deutschland AG
Ezio Fantuzzi betonte, dass Impact Underwriting ein wertvoller Hebel sei, den die Branche aktiver nutzen muss, um die Transformation zu begleiten. Die Diskutantinnen und Diskutanten waren sich einig, dass es auch Aufgabe der Versicherer ist, Transparenz für die Unternehmenskunden zu schaffen und deren individuelle Risiken konkret aufzuzeigen.
Danja Schockenhoff begrüßt den Ansatz, die Transformation durch Impact Underwriting aktiv zu begleiten und sich die Regulatorik zunutze zu machen. Es mache Sinn, mit ESG-Scores oder der EU-Taxonomie Transparenz zu schaffen und die Unternehmen ganzheitlich zu betrachten und nicht per se mit Ausschlüssen zu arbeiten.
Eine weitere Perspektive erhielt das Thema Impact Underwriting durch den Vortrag von Rebecca Schörfke, Underwriter bei die Bayerische, mit der Vorstellung eines neuen Risikoprüfungsanasatzes bei der Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Expertin erläuterte, dass mehr als 50 Prozent der deutschen Bevölkerung einmal im Leben die Kriterien einer psychischen Erkrankung erfüllen und dies den Zugang zu einer Berufsunfähigkeitsabsicherung häufig erschwere. Die Bayerische begreift eine abgeschlossene Psychotherapie jedoch nicht als Risiko, sondern als Chance. Denn erfolgreiche Therapien haben langfristige Effekte auf die psychische Gesundheit der Erkrankten, da sie ihnen Werkzeuge an die Hand geben, widerstandsfähiger durchs Leben zu gehen, so die Expertin. Die Bayrische setzt auf eine differenzierte Bewertung und Prüfung der individuellen Risiken und lehnt bei Vorerkrankungen nicht pauschal ab.
Nachhaltigkeit im Vertrieb – Barrieren verstehen und abbauen
Woran scheitert das Thema Nachhaltigkeit im Vertrieb? Dieser Frage gingen Annemarie von Weihe, Topic Lead GREENfactory, msg systems ag, und Laura Perthes, Senior Strategic Sustainability Manager, Zurich Gruppe Deutschland, in einem Workshop nach. Barrieren sehen die beiden vor allem in dem Mangel an entsprechenden Produkten und Wissen, in der Angst vor Greenwashing und Greenbleaching sowie im mangelnden Interesse der Kundinnen und Kunden.
Dennis Nölting und Annika Markowski von der SIGNAL IDUNA Krankenversicherung a.G. haben ähnliche Barriereerfahrungen gemacht. Annika Markowski betonte: „Am Ende des Tages müssen wir den Kunden erreichen und das schaffen wir nur bedingt“. Die Durchdringung in den Agenturen ist herausfordernd. Aus diesem Grund hat sich die Signal Iduna dazu entschieden, 15 Pilotagenturen zu begleiten. Hier werden Kompetenzen aufgebaut und stetig mit Wissen und Informationen unterstützt. Auf diese Weise lernt das Unternehmen, was der Vertrieb braucht, um erfolgreich nachhaltig zu sein. Zudem wurde eine zentrale Nachhaltigkeitsrolle im Vertriebsressort integriert. Dennis Nölting hob zudem die Bedeutung der Regulatorik hervor: „Regulatorik muss für den Vermittler greifbarer werden: Warum ist das für uns als SIGNAL IDUNA wichtig und warum ist das eigentlich auch für dich als Vermittler wichtig?“
Auch der letzte Vortrag des Panels von Anita Merzbacher, Vorstandsvorsitzende bei der UNO INO eG, zeigte, dass Nachhaltigkeit noch unzureichend in den Köpfen der Vermittler verankert ist. Merzbacher zufolge bedarf es positiver Storys, um Vertrauen aufzubauen und Ängste zu nehmen. „Wir brauchen einen neuen Herrn Kaiser, einen richtigen Tranformationshelden. Der muss Nachhaltigkeit verstehen und umsetzen.“
Biodiversität als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie
Anhand gleich zweier Praxisbeiträge wurde auf der Veranstaltung deutlich, wie es gelingt, Biodiversität als integralen Bestandteil einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie in der Versicherungsbranche zu verankern.
Annika Tidden, Referentin, Anlagemanagement, Bereich ESG bei der Debeka Versicherungsvereine a.G., erläuterte die aktuellen regulatorischen Vorgaben wie die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die EU-Taxonomie. Dabei hob sie hervor, dass die Integration von Biodiversität in die Finanzwirtschaft herausfordernd sei. Besonders die fehlenden einheitlichen Messgrößen und der Mangel an Daten stellen große Hindernisse dar. Tidden betonte die Notwendigkeit, wissenschaftlich fundierte Ziele zu setzen und Tools zur Messung der Biodiversität sowie zur Bewertung von Anlageportfolios zu nutzen.
Laura Perthes, Senior Strategic Sustainability Manager, und Marina Pastuhof, Sustainability Manager, beide Zurich Gruppe Deutschland, präsentierten unternehmenseigene Initiativen zur Förderung der Biodiversität als Teil der Unternehmensstrategie. Der Fokus der Zurich-Gruppe liegt auf dem Erreichen des 1,5-Grad-Ziels, der Förderung einer nachhaltigen Arbeitswelt und der Unterstützung digitaler Nachhaltigkeit. Aktuelle Biodiversitätsinitiativen seien dabei die „Planet Hero Week“, die Mitarbeitende zu nachhaltigerem Verhalten inspiriert, das Projekt „Zurich Forest“ zur Aufforstung des Regenwaldes sowie eine Moorpatenschaft in Deutschland. Zudem kooperiert die Zurich-Gruppe mit der Ozeanforschung und vergibt den „Planet Hero Award“, um nachhaltige, gemeinnützige Initiativen zu unterstützen.
Barrierefreiheit in Versicherungen ist mehr als die Berücksichtigung baulicher Vorgaben
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verpflichtet Unternehmen, einschließlich Versicherer, ihre Dienstleistungen und Produkte ab 2025 barrierefrei zu gestalten. Aktuell beschäftigt dies die Branche intensiv, birgt neben den aktuellen Herausforderungen jedoch auch langfristig betrachtet Chancen: So erreichen Versicherer durch barrierefreie Angebote eine breitere Zielgruppe, einschließlich Menschen mit Behinderungen, älteren Personen und Menschen mit eingeschränkten Sprachkenntnissen.
Wie Barrierefreiheit in der Praxis aussehen kann und welche Stolpersteine bei der Projektumsetzung genommen werden müssen, zeigte u. a. der Impuls von Kevin Naths, Abteilungsleiter bei der Concordia Krankenversicherung AG. Er stellte das Projekt „Easy Going“ vor. Dabei handelt es sich um eine Auslandsreisekrankenversicherung, die barrierefrei gestaltet wurde. Mehrsprachige Informationsmedien, leichte Sprache, Vorlesefunktionen und Drei-Bild-Erklärungen sind nur einige Maßnahmen, die der Versicherer umgesetzt hat. Naths betonte, dass der komplette Prozess von Antrag bis Vertrag barrierefrei umgesetzt wurde. Die ersten Monate zeigten, dass etwa fünf Prozent der Nutzer diese barrierefreien Angebote wahrnahmen.
Grün kommunizieren ohne Washing zu betreiben
Authentisch, transparent und konsequent – das sind Kriterien einer effizienten Nachhaltigkeitskommunikation ohne Greenwashing. Britt Launspach, Beraterin für Nachhaltigkeitskommunikation und Co-Founderin der UNO INO eG, erläuterte in ihrem Impuls, dass authentische Nachhaltigkeitskommunikation durch das Erzählen von Storys erreicht wird, die zu Marke, Werten und Taten des eigenen Unternehmens passen. Dabei darf die Transparenz nicht vergessen werden. So müssen die Aussagen mit Zahlen, Daten und Fakten belegbar sein, um Glaubwürdigkeit zu sichern. Launspach empfahl eine kontinuierliche und konsequente Integration der Nachhaltigkeitsthemen in alle Kommunikationskanäle und -pläne, um die Nachhaltigkeitskommunikation zum Standard zu machen. Ein partizipativer Ansatz ist ebenso wichtig, um Stakeholder einzubinden und den Dialog zu fördern.
Wie die Empfehlungen von Britt Launspach in der Praxis aussehen können, zeigte der Impuls von Vanessa Lange, Fachspezialistin Unternehmenskommunikation bei der LVM Versicherung. Der Versicherer hat im April 2023 eine Webseite zu den eigenen Nachhaltigkeitsmaßnahmen gestartet. Die Webseite dient als zentraler Kommunikationsanker und präsentiert Nachhaltigkeitsthemen in leicht verständlichen „Häppchen “ statt komplexen Informationen. Ziel ist es, Besucher nicht zu überfrachten und nachhaltig zu informieren.
Die Expertinnen betonten, dass glaubwürdige und effektive Nachhaltigkeitskommunikation wesentlich für den Erfolg von Nachhaltigkeitsstrategien ist und wesentlich dazu beiträgt, Greenwashing zu verhindern.
Fazit
Die Sustainable Insurance Convention 2024 in Leipzig zeigte eindrucksvoll, wie vielfältig und tiefgreifend die Bemühungen der Versicherungsbranche in Sachen Nachhaltigkeit sind.
Die zentrale Erkenntnis war, dass Nachhaltigkeit fest in das Kerngeschäft integriert und durch klare Ziele und KPIs gesteuert werden muss. Neue Ansätze wie das Impact Underwriting eröffnen innovative Wege, nachhaltige Potenziale zu nutzen. Der Vertrieb muss langfristig und strukturell auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden, während Biodiversität als wesentlicher Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie betrachtet wird.
Barrierefreiheit geht über physische Zugänglichkeit hinaus und birgt das Potenzial, Wettbewerbsvorteile durch das Erreichen neuer Zielgruppen zu heben.
Authentische, transparente und konsequente Nachhaltigkeitskommunikation ist entscheidend, um Glaubwürdigkeit zu bewahren und Greenwashing zu vermeiden.
Die Veranstaltung verdeutlichte, dass die Versicherungsbranche bereits viele Fortschritte gemacht hat, jedoch weiterhin mutige und innovative Schritte erforderlich sind, um die vielfältigen Herausforderungen der Nachhaltigkeit erfolgreich zu meistern. Die Beteiligten waren sich einig, dass nur durch gemeinsames Engagement und kontinuierliche Weiterentwicklung echte Veränderungen erreicht werden können.
Wer sich an den vielfältigen Diskussionen rund um das Thema Nachhaltigkeit beteiligen möchte, hat am 4./5. Juni 2025 im KUBUS Leipzig zur vierten Sustainable Insurance Convention Gelegenheit dazu.