Nachhaltigkeit im Vertrieb – ein klares Ziel mit offenen Fragen
Im Beitrag geht es um die Integration von Nachhaltigkeit im Versicherungsvertrieb und den bestehenden regulatorischen Unsicherheiten.
Nachhaltigkeit liegt im Trend – das zeigt insbesondere die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Realität sieht jedoch anders aus: Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern längst eine notwendige Tatsache. Die steigende Erderwärmung und die Folgen des Klimawandels betreffen uns alle – dabei ist die Rede schon lange nicht mehr nur von Umweltkatastrophen in fernen Ländern.
Um den Folgen des Klimawandels zu begegnen, hat sich die Europäische Union ambitionierte Ziele gesetzt: Bis zum Jahr 2050 soll sich Europa zu einer klimaneutralen Wirtschaft wandeln. Hierbei kommt dem Finanzsystem eine Schlüsselrolle zu, da es den Großteil der weltweiten Assets verwaltet. Mit Hilfe des EU-Aktionsplan „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ will sich die EU diese Schlüsselrolle zunutze machen. Der Plan umfasst zehn Initiativen, die drei primäre Ziele anstreben: die Neuausrichtung der Kapitalströme hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, die Einbettung der Nachhaltigkeit in das Risikomanagement sowie die Förderung von Transparenz und Nachhaltigkeit. Zurzeit sind bereits drei Bausteine eingeführt: die EU-Taxonomie, ein umfassendes Offenlegungsregime sowie Standards und Labels für nachhaltige Finanzinstrumente.
Integration von Nachhaltigkeit in der Finanzberatung
Was bereits Anfang 2019 mit einem EU-Entwurf zur Änderung der Insurance Distribution Directive (IDD) begann, wurde nun durch die Veröffentlichung zweier Verordnungen umgesetzt. So erhielten Nachhaltigkeitsfaktoren, -risiken und -präferenzen Einzug in den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten. Ab dem 02. August 2022 ist Nachhaltigkeit außerdem ein verbindlicher Bestandteil im Beratungsprozess von Versicherungsanlageprodukten. Dadurch wird das magische Dreieck der Geldanlage, bestehend aus Rentabilität, Sicherheit und Verfügbarkeit (Liquidität), gewissermaßen zum Viereck erweitert und enthält nun die zusätzliche Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen. Die Änderung der IDD geht jedoch nicht nur mit Anpassungen für den Vertrieb einher. Auch das Produktmanagement in den Versicherungshäusern ist betroffen. Demnach müssen zukünftig Nachhaltigkeitsfaktoren im Zuge der Zielmarktdefinition berücksichtigt, auf transparente Art und Weise beschrieben und dem Vertrieb zur Verfügung gestellt werden. Dies führt unweigerlich dazu, dass die Bereiche des Produktmanagements und des Vertriebs zukünftig noch stärker zusammenarbeiten müssen: Der Vertrieb kann schließlich nur das anbieten, was das jeweilige Produktportfolio hergibt.
Es herrscht Verunsicherung, doch der Blick richtet sich nach vorn
Bereits jetzt werden Stimmen laut, die eine Verschiebung der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen in der Finanzberatung fordern. Vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsunsicherheit erscheinen diese Forderungen gerechtfertigt. Die nochmalige Verschiebung der Veröffentlichung der technischen Regulierungsstandards (RTS) zur Offenlegungsverordnung führen dazu, dass Detailfragen unbeantwortet bleiben. Die RTS sollen eine praktische Orientierungshilfe für die Unternehmen liefern. Nicht so gelungen scheint der Startpunkt der verpflichtenden Nachhaltigkeitsabfrage, der fünf Monate vor der Umsetzung der sogenannten Level-II-Maßnahmen der Offenlegungsverordnung liegt. Ob die bisherige Zuordnung der Versicherungsanlageprodukte entsprechend der Offenlegungsverordnung korrekt ist, wird sich erst mit Veröffentlichung der RTS zeigen. Bis dahin bleiben die aktuellen rechtlichen Unsicherheiten, insbesondere auf Seiten der Vermittler, bestehen.
Nichtsdestotrotz, es ist höchste Zeit sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Die Liste, der sich zu stellenden Fragen, ist lang. Wer jetzt denkt, dass die Einbindung von Nachhaltigkeitsaspekten in die Finanzberatung lediglich mit einem Mehraufwand und einer erhöhten Komplexität einhergeht, liegt falsch. Es gilt die Chancen zu erkennen, die sich für die Verstärkung bzw. Erzeugung der Kundenbindung ergeben. Beim Thema Nachhaltigkeit im Vertrieb ist es wie beim Klimawandel: Alle sitzen im selben Boot. Umso wichtiger sind der gemeinsame Austausch und die Vernetzung untereinander. Denn eins sei zum Schluss geschrieben: Getreu dem Motto Angebot schafft Nachfrage – darf es nicht nur etwas GRÜN sein – es MUSS!