Trends im Kundenmanagement: Nicht jede Welle ist ein Tsunami - Interview mit Prof. Dr. Heiko Auerbach

Im Interview mit Prof. Dr. Heiko Auerbach, Professor für Marketing & Sales an der Hochschule Stralsund, über Trends und Erfolgsfaktoren im Kundenmanagement.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Vertrieb & Kunde
Themen:
Kundenmanagement
Trends im Kundenmanagement: Nicht jede Welle ist ein Tsunami - Interview mit Prof. Dr. Heiko Auerbach

Prof. Auerbach, was sind für Sie in diesem Jahr die drei Trendthemen, was Kundenmanagement angeht? 

Prof. Dr. Heiko Auerbach:  
Ich arbeite ja in Stralsund, direkt an der Ostseeküste. Und wenn ich an Trends denke, dann kommen mir tatsächlich zunächst kleine Wellen, die kurz- bis mittelfristig Wirkung zeigen, in den Sinn. So wie etwa in der Mode. Auch da wird gern von Trends gesprochen. Der Begriff Trend wird sehr häufig auch als Buzzword gebraucht – nicht selten mit dem Ziel, dringlich erforderliches Handeln zu suggerieren. Wenn man aber Tsunamis, also disruptive Veränderungen im Unternehmensumfeld meint, spreche ich lieber von „Treibern des Wandels“. Sehr schön haben es die Scorpions mit dem Songtitel „Wind of Change“ ausgedrückt. Ein guter Manager verfügt über die „Sinne der Wahrnehmung“, nimmt Veränderungen wahr und weiß, auf kluge Weise mit Veränderungen umzugehen. Ein Unternehmen muss insofern darauf vorbereitet sein, sich im Zeichen des Wandels an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Change Management heißt aber nicht, dass man sich auf jede Welle bzw. jeden Trend einlassen muss. Zurzeit wehen die Winde des Wandels mit Tsunami-Effekt im Kundenmanagement aus drei Richtungen: Big Data, Digitalisierung/Automatisierung und künstliche Intelligenz. Diese drei Treiber bezeichne ich als „harte“ Faktoren. 

Wenn es „harte“ Erfolgsfaktoren gibt, dann bestimmt doch auch „weiche“. Welche sind das? 

Prof. Dr. Heiko Auerbach:  
Genau, neben diesen „harten“ sehe ich auch „weiche“ Treiber, die neues Denken erfordern.  Nummer eins: Das Thema Purpose wird immer wichtiger. Gerade bei jüngeren Menschen. Welchen Zweck, welchen Sinn haben und vermitteln die Unternehmen ihren Kunden (und Mitarbeitern), und wie definieren sie ihren gesellschaftlichen Auftrag? Da kann es nicht nur um Rendite oder Wachstum gehen, sondern gerade auch um den Beitrag eines Unternehmens für das sozio-kulturelle System. Authentizität ist für mich der zweite wichtige „weiche“ Faktor. Die Unternehmen müssen sich selbst hinterfragen: Bin ich mit meinen Leistungsangebot und meinen Kernaussagen den Kunden gegenüber authentisch? 

Sehen Sie auch noch einen dritten „weichen“ Erfolgsfaktor? 

Prof. Dr. Heiko Auerbach:  
Ja, der dritte wichtige Punkt ist, den Kunden eine wirkliche Customer Experience, also ein Kundenerlebnis, anzubieten. Das ist gerade bei Dienstleistungsunternehmen entscheidend. Es ist ein Unterschied, ob ich mir ein Auto oder eine Jeans kaufe oder einen Versicherungsvertrag unterschreibe. Das Auto kann ich Probe fahren, die Jeans anprobieren. Aber eine Dienstleistung ist intangibel, also nicht physisch „greifbar“. Diese kann ich letztendlich nur durch eine erlebte Kundenerfahrung greifbar machen. Daher stellt sich die Frage: Schaffe ich es an allen Berührungspunkten, Momente der Wahrheit zu gestalten, die das Unternehmen für den Kunden erlebbar machen? Für Versicherer ist die Frage besonders spannend, welche Rolle dabei die stationäre Agentur, der Makler, Kundenbetreuer spielt. Ich glaube, das ist eine wichtige Frage, die Kundenmanager noch lange beschäftigen wird.   

Sie sind von Anfang an beim Messekongress Kundenmanagement dabei. Haben sich die Themen gewandelt? 

Prof. Dr. Heiko Auerbach:  
Selbstverständlich gibt es seit Jahren gewisse Dauerbrenner: Social Media, Data Analytics oder Kundenwert-Modelle, um nur einige zu nennen. Was aber in jüngerer Zeit verstärkt ins Blickfeld rückt, ist der Generationenwechsel. Die Generation der Babyboomer verabschiedet sich nach und nach in den Ruhestand. Die Generationen X und Y übernehmen bereits Verantwortung, und das wird auch bald die Generation Z tun. Diese jüngere Generation weist ein deutlich verändertes Wertesystem gegenüber ihren Vorgängergenerationen auf: Nachhaltigkeit, Work-Life-Balance, Familie, Zukunft, Diversität sind in diesem Zusammenhang typische Schlagworte. Und diese neue Akzentuierung gesellschaftlicher Werte wird auch maßgeblichen Einfluss auf Unternehmenskulturen und -strategien haben. Hier sind spannende Veränderungen zu erwarten – bei Unternehmen, Kunden und allen weiteren Stakeholdern.     

Beim Thema generative KI (z. B. ChatGPT) sehen viele Fachleute ein disruptives Potential für die ganze Branche. Wie schätzen Sie das Potential für das Kundenmanagement ein? 

Prof. Dr. Heiko Auerbach:  
Die Antwort darauf kann noch niemand geben. Es ist ein neues Themengebiet, bei dem die Unternehmen gerade dabei sind, ihre jeweiligen Chancen und Risiken auszuloten. Es wird aber sicherlich kurz- und mittelfristig disruptive Entwicklungen geben, die wir jetzt noch gar nicht erahnen. Viele Unternehmer, mit denen ich über dieses Thema spreche, sehen zunächst einmal die Chance einer Kostensenkung, kürzere AHT (average handling time) im Kundenservice und eine Verringerung der Fehlerquote bei Mitarbeitern im Kundenservice. Selbstverständlich wird es insofern aus der Praxis des Kundenmanagement bald nicht mehr wegzudenken sein, dass man künstliche Intelligenz nutzen wird.  

Hier komme ich gern zurück zum Thema Authentizität. Nehmen wir ein Beispiel: Eine Versicherung braucht einen Werbetext für ein Produkt. Mit ChatGPT entsteht ein geschliffener Text in Sekundenschnelle. Dieser ist aber nicht unbedingt authentisch – er spiegelt nicht automatisch den „genetischen Code“ oder den Markenkern des Unternehmens wider. Ich vergleiche das gern mit einem Kuchen: Eine Fertigmischung ist mit ein paar Zutaten wie Milch und Eiern schnell angerührt. Der Kuchen kann sogar auch schmecken. Wenn ich aber mit eigenen Zutaten (Kreativität!) einen Kuchen backe, dann schmeckt das ganz anders – und zwar besser! So ist es auch mit ChatGPT: Wenn ich unreflektiert die generierten Inhalte nutze, dann ist das schließlich wie eine Fertigmischung. Unternehmen würden also – da mit KI generiert – mit ähnlichen Worten und Formulierungen arbeiten und der Gefahr unterliegen, sprachliche Differenzierungsmerkmale aufzugeben. Die große Chance der Unternehmen besteht jedoch darin, sich mit Individualisierung und Authentizität zu differenzieren. Ob es um Werbetexte geht oder Kundenanfragen in Chatforen – ich würde immer eine persönliche Note pflegen. Ich bin fest davon überzeugt, dass viele Kunden den Unterschied zwischen künstlich-generierter und hausgemachter Kommunikation bemerken.   

Vielen Dank für das Interview!

 

Hinweis: Das Interview ist erstmalig im Magazin K³ erschienen. Die Ausgabe finden Sie hier:

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