Die digitale Transformation in der Versicherung: Im Interview mit Zurich COO Horst Nussbaumer
Für unser Messekongress Magazin I³ haben wir Horst Nussbaumer interviewt. Online gibt es dies nun auch auf unserem Fachblog.
Herr Nussbaumer, Versicherer gelten eher als träge und ganz ihrem Geschäftsmodell entsprechend als risikoavers. Wie passt das mit einer Welt zusammen, in der technologische Entwicklungen immer schneller passieren?
Horst Nussbaumer: Das Geschäftsmodell von Versicherungen beruht sehr stark auf dem Vertrauen unserer Kundinnen und Kunden, und somit zählen Verlässlichkeit und Kontinuität zu wichtigen Eckpfeilern unseres Geschäftsmodelles. Aber die Tatsache, dass sich unser Leistungsversprechen über die Jahre nicht fundamental verändert hat, darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich unsere Services und Prozesse in den nächsten Jahren dramatisch verändern werden. Insofern ist es meines Erachtens für Versicherer sehr wichtig, diese Unterscheidung immer vor Augen zu haben, um die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen: Einerseits schafft Kontinuität Vertrauen, andererseits erwarten Kunden Services, die einfach, schnell und vor allem digital abgewickelt werden können.
Wie reagiert ein großer Versicherer wie Zurich auf aktuelle Entwicklungen wie generative KI? Nutzen Sie ChatGPT bereits in der Fläche?
Wir nutzen aktuell ChatGPT bewusst nicht in der Fläche, da wir noch nicht sicherstellen können, dass die Datensicherheit zu jeder Zeit gewährleistet ist. Allerdings sehen wir natürlich das enorme Potenzial, dass viele unserer Prozesse in vielerlei Hinsicht dramatisch beschleunigt werden können – z.B. in der Schadenbearbeitung. Wir bereiten uns deshalb darauf vor, ChatGPT in jene Prozesse einzubetten, wo wir uns den größtmöglichen Effekt erwarten. Sobald wir die Datenhoheit über unsere Kundendaten gewährleisten können, sehen wir eine rasche, breite Nutzung vor. Bei aller „Euphorie“ sehe ich aber manchmal die Tendenz, schnelle Lösungen zu bauen, die aber sehr oft am Bedarf der Kunden vorbeigehen. Man muss dahingehend vorsichtig sein, sonst könnten wir quasi jeden Tag eine neue Idee umsetzen. Am Ende hat man viele Leuchttürme, aber die Kunden warten vielleicht gar nicht darauf.
Sie sagen also: Erstmal schauen, was die Kundinnen und Kunden überhaupt wollen, statt jedem Trend sofort hinterherzulaufen. Und natürlich das wichtige Thema Datensicherheit und Datenschutz in den Mittelpunkt stellen. Aber wie wichtig werden aktuelle Entwicklungen wie generative KI?
Ich bin sicher, dass das extrem wichtig sein wird und dass das auch unsere Prozesse, insbesondere die Abläufe innerhalb, und die Kommunikation mit unseren Kunden dramatisch verändern wird. Unser Geschäftsmodell jedoch, dass auf Leistungsversprechen in der Zukunft beruht, wird sich – wie eingangs ausgeführt – nicht ändern.
In Ihrer Keynote beim Messekongress IT für Versicherungen fragen Sie, ob die digitale Transformation in der Versicherung eine ausgebliebene Disruption ist. Wie würden Sie die Frage für Zurich beantworten, fand eine Disruption statt?
Ich komme auf mein Eingangsstatement zurück: Zu Anfangszeiten der digitalen Transformation wurden ja einige disruptive Veränderungen vorhergesehen, die in dieser Form nicht eingetroffen sind – denken wir nur z. B. an die persönliche Beratung, die viele Kunden nach wie vor als sehr wichtig erachten. Insofern sehe ich für Versicherer einen hohen Anpassungsdruck auf Services und Produkte, um das Vertrauen und die Zufriedenheit unserer Kunden in einem sich dramatisch verändernden Umfeld zu gewinnen. Deshalb ist es unsere These, dass wir Kontinuität und Innovation klug verbinden müssen – statt in eine Entweder- Oder-Haltung zu geraten.
Aber trotzdem ist es so, dass Versicherer vor der Herausforderung stehen, ihre alten Systeme auf den neuesten Stand zu bringen. Daher ist die digitale Transformation enorm wichtig, auch wenn die Kundinnen und Kunden im Alltag davon nichts mitbekommen. An welcher Stelle der Transformation steht Zurich da: Würden Sie sagen, Sie sind bereits perfekt aufgestellt? Ich sehe, da müssen Sie schon schmunzeln.
In der Tat sehe ich uns auf einem sehr guten Weg – z. B. mit der DA als digitalen Direktversicherer oder unserer digitalen Schadenreise. Sowohl unsere Vertriebs-, als auch „Core-Systeme“ für Vertrags- und Schadensysteme wurden in den letzten fünf Jahren neu entwickelt. Dennoch sehe ich die Digitalisierung als einen kontinuierlichen Prozess und nicht als ein Projekt mit einem Anfangs- und Zieldatum. Was heute „State-of-the-Art“ ist, ist morgen schon überholt. Insofern sind die schnelle Anpassungsfähigkeit und das rechtzeitige Erkennen von „Fehlern“ das Gebot der Stunde – auch wir haben hier eine Lernkurve hinter uns.
Zurich ist ein großer Versicherer. Welche Rolle spielen Dienstleister für Sie?
Dienstleister spielen eine große und wichtige Rolle, gerade in der Digitalisierung von Serviceprozessen. Andererseits sehe ich aber auch, dass wir in der Vergangenheit oftmals zu sehr auf Dienstleister gesetzt haben, gerade in der IT. Besonders für die IT setzen wir sehr erfolgreich auf eine Internalisierung von strategischen Funktionen und Fähigkeiten z. B. in der Softwareentwicklung oder für die Entwicklung von AI-gestützten Tools. Natürlich sehen wir immer noch einige Bereiche, wo wir noch am Anfang stehen, gerade im sich rasant entwickelnden Bereich der generativen AI. Hier dürfen wir als Versicherer nicht den Fehler machen, uns alleine auf Dienstleister zu verlassen.
In welcher Rolle sehen Sie die IT generell im Unternehmen: Ist sie Innovator oder Ermöglicher von Veränderungen?
Beides, sie muss beides sein. Im Grunde genommen muss man die Fachbereiche dorthin führen, wo die Innovation ist. Aber man darf sie nicht überholen, nicht irgendeine Lösung präsentieren und dann das Problem beim Kunden suchen. Das ist ein schwieriger Prozess, dass Fachbereiche und IT wirklich Ende-zu-Ende in einem agilen Set-up arbeiten und das tun, wo beim Kunden oder Vertrieb letzten Endes Mehrwert erzielt wird. Das ist ein Prozess, der Monate oder Jahre dauern kann und bei uns auch noch nicht abgeschlossen ist.