IT in Versicherungen – im Spannungsfeld von Regulatorik, Digitalisierungsdynamik und Erwartungsdruck

Im Beitrag fassen wir noch einmal ausgewählte Impulse des diesjährigen Messekongresses IT für Versicherungen zusammen.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Analytik & IT
Themen:
Digitalisierung KI / AI / künstliche Intelligenz
IT in Versicherungen – im Spannungsfeld von Regulatorik, Digitalisierungsdynamik und Erwartungsdruck

Ende November fand zum 16. Mal der Messekongress IT in Versicherungen statt. 550 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, 50 Aussteller und 85 Referentinnen und Referenten haben in Leipzig die aktuellen Entwicklungen in der Versicherungs-IT diskutiert. Von spannenden Praxiseinblicken in aktuelle Projekte bis hin zu wissenschaftlichen und regulatorischen Impulsen gab es eine breite Palette an Themen. Im Beitrag fassen wir noch einmal die Highlights des Expertentreffens zusammen.  

„Die technische Entwicklung wird nie wieder so langsam sein wie heute.“  - Jens Becker, CIO bei der Zurich Gruppe Deutschland 

Jens Becker gab den Teilnehmenden einen breiten Einblick in die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen der Zurich Gruppe Deutschland. Aktuell konnten etwa die Hälfte aller Anwendungen des Unternehmens in die Cloud migriert werden.   

Auf dem Weg dahin gilt es folgende Fragen zu beantworten: Was kann man bereits bei der Softwareentwicklung automatisieren? Wie kommt man in die Cloud rein? – Hier helfen die 7R:  repurchase, replatform, refactor, rehost, relocate, retain und retire. Anschließend gilt es zu identifizieren, was das für ein Operating-Model bedeutet.  

Auch wenn die technischen Aspekte im Vordergrund stehen, betonte Jens Becker: „Cloud ist kein reines IT-Thema, sondern elementar für die Business-Strategie.“  

Viel zitiert wurde Becker mit seiner Aussage, dass wir in der IT-Entwicklung nie wieder so langsam sein werden, wie wir es jetzt im Moment sind „Die alte KI hilft uns dabei, neue KI zu entwickeln, ein sich selbst beschleunigendes System“, so der Experte.  

KI in Versicherungen: Die Frage nach Relevanz ist wesentlich  

Generative KI (GenAI) bringt Dynamik in die Versicherungsbranche, doch der Schritt vom Prototypen zum echten Mehrwert stellt eine Herausforderung dar. Martin Gesmann und Christian Speller von der LVM präsentierten im Fachforum „KI in der Versicherungswirtschaft“ ihre Herangehensweise, diese Hürde zu meistern. Ein erster Erfolg war der AKB-Assistent „KAI“, ein Chatbot, der gezielte Zugriffe auf die Allgemeinen Kraftfahrzeugbedingungen (AKB) ermöglicht. Dieser Prototyp überzeugte durch nutzerfreundliches Design, schnelle Antwortzeiten und clevere Inhaltsstrukturierung. Christian Speller betonte die Bedeutung einer KI-Strategie, die den Aufbau interner Netzwerke, Kompetenzförderung und die Einbindung von Führungskräften sowie Stakeholdern wie dem Betriebsrat umfasst: „Der Weg zum Mehrwert gelingt, wenn die Organisation mitzieht.“ 

In der Industrieversicherung ist der Einsatz von KI aufgrund unstrukturierter Daten und individueller Vertragsbedingungen besonders anspruchsvoll. Daniel Ahrend, OSKAR SCHUNCK GmbH, und Malte Penther, Wavestone Germany AG, stellten den Aufbau einer 4-Schichten-Architektur bis 2027 vor, die eine bessere Grundlage für KI-Anwendungen schaffen soll. Parallel dazu werden Prozesse durch eine Process Engine orchestriert, um mehr Effizienz zu gewährleisten. 

Neben der praktischen Anwendung steht auch die vertrauenswürdige Nutzung von KI im Fokus. Marc Schröter von globadatanet und Michael Hanisch von AWS stellten das AI TRiSM Framework (Trust, Risk, and Security Management) von Gartner vor. Dieses hilft Versicherern, ethische, rechtliche und soziale Auswirkungen von KI zu bewerten. Die fünf Eckpfeiler – Erklärbarkeit, ModelOps, Datenanomalieerkennung, Angriffsresistenz und Datenschutz – bieten eine Grundlage für mehr Nutzerakzeptanz. Hanisch empfahl eine Bedrohungsanalyse, um Risiken wie Datenfiltration oder Angriffe auf Datenintegrität zu identifizieren und plädierte für die Nutzung von Zwischenschritten mit Plausibilitätsprüfungen: „Besser mehrere Zwischenschritte mit Plausibilitätsprüfungen, anstatt alles mit einem Prompt lösen zu wollen.“ 

Dr. Joachim Ziegler vom InsurTech Hub Munich und Helmut Körfer von der adesso insurance solutions GmbH unterstrichen die strategische Relevanz von Effizienz, während Innovation und Wachstum nachgelagert bewertet werden. Die Integration hochwertiger End-to-End-Prozesse und Investitionen in Upskilling sowie Talente seien entscheidend, um KI-Projekte aus der Pilotphase in wirtschaftliche Geschäftsprozesse zu überführen. Dabei sei ein sauberes Inputmanagement essenziell, um Lösungen schnell und effizient zu entwickeln. 

Die Bayerische IT GmbH stellte ihren strategischen Fahrplan zur KI-Implementierung in der Kundenkommunikation vor, insbesondere für Moped- und E-Scooter-Versicherungen. „Pioniere warten nicht, sie gehen mutig voraus“, erklärte Stefan Hegedusch.  

Die hier genannten Beispiele sind lediglich ein Ausschnitt der der vorgestellten Projekte. Sie zeigen aber sehr deutlich, wie umfangreich das Thema KI bedacht werden muss:  von strategischen Implementierungen über innovative Tools bis hin zu vertrauenswürdigen Anwendungen.  

Fachkräftemangel in der IT – Ansätze aus der Branche und was die Wissenschaft sagt 

„Akzeptieren Sie den demografischen Wandel. Nehmen Sie nur die Besten und nehmen Sie sich Zeit für den Bewerbungsprozess.“ Diesen Hinweis gab Rüdiger Maas, CEO beim Institut für Generationenforschung. In seinem Vortrag diskutierte er die Frage: Warum tickt die Generation der Nachwuchskräfte anders, als wir denken?  

Die Einteilung in Generationen wie Babyboomer, Generation Z oder Generation Alpha ist weit verbreitet, doch laut Generationenforscher Rüdiger Maas greift diese Einteilung zu kurz. Entscheidend sei die Umgebung, in der Menschen aufwachsen. Jüngere Generationen wachsen in einer volldigitalisierten Welt auf, während sich das Verhalten der Älteren verändert hat – so bieten Eltern weniger Abgrenzungspotenzial. Gleichzeitig prägt der demografische Wandel die Gesellschaft und Arbeitswelt, was den Jüngeren mehr Auswahl auf dem Arbeitsmarkt und höhere Ansprüche ermöglicht. 

Besonders die Finanz- und Versicherungsbranche gilt unter jungen Menschen als wenig attraktiv, teils aufgrund eines schlechten Rufs im Vertrieb. Dennoch bietet sie wichtige Benefits wie Jobsicherheit, geregelte Arbeitszeiten und eine angenehme Atmosphäre. Laut Maas könnten gezielte Schulungen die Scheu vor persönlicher Ansprache und Vertriebsgesprächen reduzieren. Praktika bieten zudem die Chance, junge Menschen frühzeitig für die Branche zu gewinnen.  

Für die Arbeitswelt der Zukunft betont Maas die Relevanz der Denklogiken zwischen analog und digital aufgewachsenen Generationen. Kommunikationsfähigkeiten und Teamarbeit werden zunehmend wichtig, während sich Berufsbilder drastisch verändern, wegfallen oder neu entstehen. Die Anpassung an diese Entwicklungen ist essenziell für Unternehmen, um erfolgreich zu bleiben. 

Wie das Nachwuchsproblem in den Versicherungsbranche angegangen wird, zeigten Lars Matzen, Tata Consultancy Services, und Kai Schulze, ITERGO Informationstechnologie GmbH. Die ERGO setzt auf Offshoring und sieht darin nicht nur eine Maßnahme gegen den Fachkräftemangel, sondern auch eine Möglichkeit, mehr Diversität und damit Innovation ins Team zu bringen. Folgende sechs Punkte wurden dabei als Kern eines erfolgreichen Offshoring-Aufbaus vorgestellt:  

  • Wissenstransfer agil und iterativ in kleinen Schritten gestalten  
  • Self-Enablement des Offshore-Teams  
  • Eigeverantwortung der Offshore-Teams   
  • zentrale Koordinationsstelle in Offshore  
  • Bridgehead als inhaltliches Bindeglied auf der Onsite-Seite  
  • Dokumentation ist der entscheidende Schlüssel  

Für die funktionale Zusammenarbeit sind schließlich der Kontakt und die Interaktion der Mitarbeitenden untereinander entscheidend.  

Regulatorik: FIDA und DORA – von neuen Geschäftsmodellen bis hin zu mehr Monitoring 

Im Fachforum Management, Governance & Compliance ging es zu Beginn des zweiten Messekongresstages zunächst um den Digital Operational Resilience Act (DORA).  

DORA stellt die Versicherungsbranche vor neue Herausforderungen, insbesondere in der Zusammenarbeit mit Informations-und-Kommunikationstechnik(IKT)-Drittdiensteistern. Die Anforderungen an die Auswahl, Überwachung und Vertragsgestaltung von Dienstleistern steigen damit erheblich. Reiner Moser, Geschäftsführer von Seven Principles, ging unter anderem auf die wichtigsten Kriterien zur IKT-Drittdienstleister-Auswahl ein:   

1. Dienstleister mit hoher eigener Fertigungstiefe, um Auslagerungsketten zu vermeiden.  

2. Regionalitätsprinzip: Dienstleister mit Sitz in der EU (einschließlich Muttergesellschaft)  

3. Multivendor-Strategie gegen Ausfallrisiken und zur Zusammenarbeit von Anbietern  

4. Transparenzprinzip  

Auch auf die operativen Zusammenarbeitsstrukturen ging Reiner Moser ein, insbesondere auf die notwendigen Reports und Standards. „So haben Sie alle Leitplanken, damit die Vertragsbeziehungen DORA standhalten“, betonte der Experte.   

Sein Kollege Tobias Thestorf erläuterte die Themen, die durch DORA vom IT-Betrieb übernommen werden müssen. Dazu gehört die Erhöhung der ITSM-Prozessreife, der Fokus auf Systeme und Tools sowie das Erkennen von Chancen zur Automatisierung. Außerdem erfordert die neue Regulierung ein professionelles Asset- und Configuration-Management. Zum Abschluss legte Tobias Thestorf den Fokus auf die positiven Auswirkungen von DORA: „Sehen Sie die Anforderungen nicht nur als Gängelung, sondern als Gelegenheit zum Abbau von IT-Schulden und zur Modernisierung.“  

Neben DORA wurde der Financial Data Access (FIDA) als neues Regulierungsvorhaben der EU vorgestellt, das den Zugang zu und die Weitergabe von Finanzdaten regelt. Ziel ist es, dass Kundendaten mit Zustimmung des Endkunden in Echtzeit ausgetauscht werden können. FIDA betrifft sowohl Versicherungsunternehmen als auch Verbraucher und wird die Idee von Open Insurance maßgeblich vorantreiben. Manuel Wanner-Behr und Felix Baaken von BANKSapi Technology GmbH erläuterten die Chancen und Herausforderungen, die mit FIDA einhergehen. Wanner-Behr betonte: „Es macht Sinn, sich jetzt mit der Verordnung zu beschäftigen, um die Potenziale sinnvoll zu heben und Vorreiter in der Branche zu sein.“ Die Verabschiedung der Verordnung wird für Q1 2025 erwartet, während sie voraussichtlich 2027 rechtskräftig wird. 

Bereits 2026 müssen Versicherer einem sogenannten Scheme beitreten, einer Interessengruppe mit spezifischen Standards und Prozessen, die den Datenaustausch strukturieren und die Einhaltung rechtlicher Verpflichtungen erleichtern soll. Diese Schemes regeln unter anderem gemeinsame Standards und Dokumente, Identifizierung, Authentifizierung, Autorisierung, Serviceprozesse, Gebührenstrukturen sowie Haftungsfragen und Streitbeilegung. Felix Baaken betonte: „Das Scheme ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Datenaustausches.“ Manuel Wanner-Behr ergänzte: „Durch FIDA wird es neue Geschäftsmodelle geben.“ 

Dr. Kamil Bieder von BiPRO e.V. stellte in seinem Impuls fest, dass FIDA nicht nur Versicherer, sondern auch Vermittler und Maklerpools mit mehr als 250 Mitarbeitenden oder 50 Millionen Euro Jahresumsatz betrifft. Er hob die Rolle von BiPRO als potenzieller Scheme-Orchestrator hervor. BiPRO erfüllt seit 18 Jahren Datenstandards, so Bieder und betonte: „Wir brauchen keinen neuen Standard, wir haben schon einen!“ Auch die EU empfiehlt, auf bestehende Standards zurückzugreifen, was BiPRO in eine Schlüsselposition bringt, um FIDA erfolgreich umzusetzen. 

Die Diskussion zeigte, dass FIDA sowohl technologische als auch organisatorische Anpassungen in der Branche erfordert, gleichzeitig jedoch erhebliche Potenziale für Innovation und neue Geschäftsmodelle bietet. 

Sie wollen tiefer in die aktuellen Themen in der Versicherungs-IT eintauchen? Dann seien Sie im November 2025 beim Messekongress IT für Versicherungen dabei oder besuchen Sie eines unseren anderen IT-Events. So treffen sich bei unserer IT-Woche Expertinnen und Experten aus den Bereichen Cloud, KI, IT-Sicherheit, Legacy und Facharchitektur. Schauen Sie vorbei! Wir freuen uns auf Sie.