Brexit: Was sich für UK, EU und Versicherer verändert hat
Der Beitrag thematisiert die Folgen des Brexits mit Fokus auf den Versicherungsmarkt.

Lesedauer: 5 bis 7 Minuten
Themenfokus: Gesamtwirtschaftliche, politische und soziale Auswirkungen des Brexits, Konsequenzen für grenzüberschreitende Versicherungsaktivitäten, Reaktionen und Strategien von Versicherern
Quellen (Auswahl): Bundeszentrale für politische Bildung, Tagesschau, ZDF, Handelsblatt, Institute for Government, HDI, SÜDVERS, germanBroker.net, Noerr, Kanzlei Michaelis
Brexit: Gewinn oder Verlust? Die Folgen für UK und EU
Der Brexit hat sowohl für das Vereinigte Königreich als auch für die Europäische Union weitreichende Konsequenzen, die sich in ökonomischen, politischen und sozialen Aspekten manifestieren. Im Beitrag gehen wir auf diese ein und zeigen auf, welche Auswirkungen der Brexit auf die Versicherungsbranche hat.
1. Wirtschaftliche Auswirkungen: Handelsbarrieren und Wachstumsverluste
Ökonomisch hat der Brexit eine deutliche Abkopplung Großbritanniens vom EU-Binnenmarkt und der Zollunion zur Folge. Britische Unternehmen sehen sich jetzt mit neuen Handelsbarrieren und zusätzlichen bürokratischen Hürden konfrontiert, was den Zugang zum EU-Markt erheblich erschwert. Schätzungen, wie die der Investmentbank Goldman Sachs, legen nahe, dass die britische Wirtschaft heute rund fünf Prozent kleiner ist, als sie es ohne den Brexit gewesen wäre. Die Einführung neuer Handelsbarrieren hat zu einem Rückgang des Warenverkehrs um zehn bis 15 Prozent geführt. Trotz des Ausbleibens von Zöllen oder Quoten im Rahmen des Handelsabkommens sind die umfangreichen Zollformalitäten und Produktzertifizierungen, die nun beachtet werden müssen, kostspielig und sorgen für Unsicherheiten. Besonders kleine und mittlere Unternehmen sind stark betroffen und haben den Handel mit der EU häufig stark reduziert oder ganz aufgegeben.
2. Politische Konsequenzen: Spaltung und Unsicherheit
Politisch stellt der Brexit einen historischen Einschnitt dar, da erstmals ein Mitgliedsstaat die EU verlassen hat. In Großbritannien selbst hat der Brexit zu einer tiefen politischen Spaltung der Gesellschaft geführt, die sich in häufigen Regierungswechseln und politischem Chaos niederschlägt. Die Meinungen über die Brexit-Entscheidung variieren stark. Fast die Hälfte der britischen Bevölkerung betrachtet den Austritt mittlerweile als Fehler. Dies hat auch zur Stärkung populistischer Bewegungen beigetragen und das Gleichgewicht nachhaltig verschoben.
3. Soziale Dimensionen: Identitätsfragen und Fachkräftemangel
Auch die sozialen Auswirkungen sind spürbar, da die Debatte über nationale Identität und Autonomie in Schottland und Nordirland neu entfacht wurde. In Nordirland sind die Herausforderungen besonders komplex, da die Mehrheit der Nordiren für einen Verbleib in der EU gestimmt hatte. Die Regelungen um die irische Grenze zählen zu den größten Streitpunkten und haben die Spannungen in der Gesellschaft weiter verstärkt.
4. Geopolitische Veränderungen: Neue Machtverhältnisse in Europa
Geopolitisch hat der Brexit das Verhältnis zwischen UK und EU grundlegend verändert: Während die britische Regierung die neu gewonnene Unabhängigkeit als Vorteil betrachtet, gibt es Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf internationale Beziehungen und die Rolle des Vereinigten Königreichs als geopolitischer Akteur. Der Verlust des Vereinigten Königreichs bedeutet eine Schwächung der EU auf internationaler Ebene, insbesondere in sicherheits- und außenpolitischen Belangen. Es liegt nun in der Verantwortung des Vereinigten Königreichs, eigene internationale Handels- und Sicherheitsstrategien zu bilden, was allerdings auch zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Brexit das Vereinigte Königreich wirtschaftlich geschwächt, politisch gespalten, soziale Spannungen verschärft und die geopolitische Dynamik in Europa verändert hat – mit Folgen, die noch lange spürbar sein werden.
Quellen: 1, 8, 13, 14, 15
Auswirkungen des Brexits auf die Versicherungsbranche
Die Auswirkungen des Brexits auf die Versicherungsbranche werden insbesondere im Hinblick auf die grenzüberschreitenden Geschäfte zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU sichtbar. Ein zentraler Aspekt ist der Verlust der sogenannten "Passporting-Rechte", die es britischen Versicherern ermöglichten, ihre Dienstleistungen und Produkte ohne zusätzliche Zulassungen in der gesamten EU anzubieten. Nach dem Brexit können britische Versicherer diese Rechte nicht mehr nutzen und sind gezwungen, Tochtergesellschaften innerhalb der EU zu gründen oder mit EU-Partnern zusammenzuarbeiten, um weiterhin Zugang zum europäischen Markt zu haben. Diese Umstellung führt zu erheblichem bürokratischem Aufwand und der Notwendigkeit, Geschäftsmodelle grundlegend anzupassen. Immerhin gilt es nun, unterschiedlichen regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden: Versicherer müssen nun unterschiedliche Compliance-Vorgaben und Meldepflichten erfüllen, was zu einer Erhöhung der administrativen Belastung und der Kosten führt. Die Divergenz der Vorschriften erschwert die Flexibilität und Effizienz von Versicherungsunternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind.
Um diese Herausforderungen zu meistern, setzen viele britische Versicherer auf Kooperationen mit EU-Versicherern oder greifen auf sogenannte "Fronting-Lösungen“ zurück. Bei diesen Modellen tritt ein auf die EU spezialisierter Versicherer als Fronting-Gesellschaft auf und stellt die Versicherungspolicen im Namen des britischen Unternehmens aus. Diese Lösung bietet zwar einen Zugang zum EU-Markt, birgt jedoch zusätzliche Kosten und rechtliche Risiken, die Unternehmen berücksichtigen müssen.
Für Versicherungskunden ergeben sich ebenfalls neue Schwierigkeiten: Bei Kunden mit grenzüberschreitenden Policen können Probleme bei der Schadenregulierung oder der Vertragsverlängerung auftreten, da britische Versicherer in der EU keine direkten Dienstleistungen mehr anbieten können. Ein weiteres Risiko besteht in höheren Kosten oder eingeschränkten Leistungen auf Seiten der Versicherungsnehmer, besonders wenn bestehende Verträge nicht mehr den neuen regulatorischen Anforderungen entsprechen.
Ein weiterer Aspekt ist die potenzielle Marktverlagerung. Unternehmen, die zuvor von den Passporting-Rechten profitierten, könnten nun dazu neigen, EU-basierte Versicherer zu bevorzugen, um rechtliche und regulatorische Unsicherheiten zu vermeiden. Dies könnte langfristig zu einer Verschiebung der Wettbewerbslandschaft sowohl im Vereinigten Königreich als auch in der EU führen.
Insgesamt zeigt sich, dass der Brexit die Versicherungsbranche vor erhebliche Herausforderungen stellt. Unternehmen und Kunden müssen sich auf eine neue regulatorische Realität einstellen, die zusätzliche Kosten, bürokratischen Aufwand und Unsicherheiten mit sich bringt. Zugleich entstehen neue Kooperationsmöglichkeiten, die langfristig den Zugang zum EU-Markt sichern können, während sich die dynamische Marktlandschaft weiterentwickelt.
Quellen: 2, 4, 5, 7, 9, 11, 12
Fazit
Unterm Strich überwiegen derzeit die Verluste: wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich und strukturell. Doch wie nachhaltig diese Auswirkungen sind und ob es dem Vereinigten Königreich gelingt, aus der Eigenständigkeit neue Vorteile zu ziehen, wird sich erst langfristig zeigen. Für die EU war der Brexit ein Weckruf, der sowohl die Notwendigkeit interner Reformen als auch den Wert der europäischen Gemeinschaft unterstrichen hat. Gewinn oder Verlust? Der Brexit zeigt, wie schnell politische Entscheidungen Grenzen schaffen – und wie lange es dauert, sie wieder zu überwinden.
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Quellen:
[1] Bundeszentrale für politische Bildung (19.09.2022). Brexit: Für Großbritannien härter als für die EU. https://www.bpb.de/themen/wirtschaft/europa-wirtschaft/512992/brexit-fuer-grossbritannien-haerter-als-fuer-die-eu/, 08.04.2025.
[2] germanBroker.net (11.02.2020). Brexit-Folgen für Versicherungskunden. https://www.germanbroker.net/informationspool/frame-inhalte/detailseite/news/detail/News/brexit-folgen-fuer-versicherungskunden/, 08.04.2025.
[3] Handelsblatt (12.01.2021). Der EU-Austritt Großbritanniens kurz erklärt. https://www.handelsblatt.com/politik/international/was-ist-der-brexit-der-eu-austritt-grossbritanniens-kurz-erklaert/24209500.html, 08.04.2025.
[4] HDI (o.J.). Nach dem Brexit: Kontinuität gesichert. https://www.hdi.global/de-de/redirect/brexit/, 08.04.2025.
[5] HDI (2022). Informationen zu Brexit und Versicherungsteuer. https://www.hdi.global/globalassets/_local/europe/de-de/downloads/international/brexit/hdi_hb_brexit-versicherungssteuer_de_220207.pdf, 08.04.2025.
[6] Institute for Government (2021). Timeline of key milestones and deadlines in the UK–EU post-Brexit relationship, 2021–28. https://www.instituteforgovernment.org.uk/sites/default/files/brexit-trade-deal-timeline-2021-final.pdf, 08.04.2025.
[7] Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte (o.J.). Brexit – Auswirkungen auf die Beratungspflichten des Versicherungsmaklers? https://kanzlei-michaelis.de/brexit-auswirkungen-auf-die-beratungspflichten-des-versicherungsmaklers/, 08.04.2025.
[8] Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (o.D.). Der Brexit. https://www.lpb-bw.de/brexit, 08.04.2025. [9] Noerr (28.06.2016). Brexit – Auswirkungen und Folgen für die Versicherungswirtschaft. https://www.noerr.com/de/insights/brexit---auswirkungen-und-folgen-fur-die-versicherungswirtschaft, 08.04.2025.
[10] Northern Ireland Assembly (2025). Timeline and Key Documents. https://www.niassembly.gov.uk/assembly-business/brexit-and-beyond/timeline-and-key-documents/, 08.04.2025.
[11] Radloff, Meier & Kollegen Versicherungsmakler GmbH (21.04.2020). Auswirkungen auf die Versicherungsbranche durch den Brexit. https://www.r-m-k.de/2020/04/21/auswirkungen-versicherungsbranche-durch-brexit/, 08.04.2025.
[12] SÜDVERS (22.02.2021). Neue Herausforderungen durch Brexit und Änderung des Versicherungsteurrechts. https://www.suedvers.de/2021/02/22/neue-herausforderungen-durch-brexit-und-aenderung-des-versicherungsteurrechts/, 08.04.2025.
[13] Tagesschau (31.01.2024). Ernüchtertes Königreich. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/vier-jahre-brexit-bilanz-100.html, 08.04.2025.
[14] Tagesschau (31.01.2025). Unzufriedenheit in allen Lagern. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/fuenf-jahre-brexit-100.html, 08.04.2025.
[15] zdf heute (31.01.2025). Wie der Brexit Großbritannien bis heute bremst. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/brexit-grossbritannien-fuenf-jahre-100.html, 08.04.2025.