Nachhaltigkeit im Versicherungsmarkt: aktuelle Themen, Trends und Entwicklungen der Branche
Wie steht es in der Branche um das Thema Nachhaltigkeit? Im Interview tauchen wir in aktuelle Trends in der Produktgestaltung, Geschäftsstrategien und Unternehmenskultur der Versicherungsunternehmen ein.

Nachhaltigkeit stand in den vergangenen Jahren stark im Fokus regulatorischer Anforderungen. Ob es um die Offenlegungsverordnung (SFDR), die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) oder die geplante europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) geht − Versicherer waren und sind mit dem Thema stark beschäftigt.
Gerade weil es hier zu dynamischen Veränderungen am Markt kommt, kann es herausfordernd sein, den Überblick zu behalten. Dabei ist es für verschiedene Bereiche im Versicherungsunternehmen von hoher Relevanz, sich mit den Bestrebungen der Mitbewerber hinsichtlich nachhaltiger Versicherungsprodukte oder -komponenten auseinanderzusetzen, um Schlussfolgerungen für eigene strategische Entwicklungen treffen zu können. Auch Initiativen hin zu einer nachhaltigen Unternehmenskultur sowie der Überblick über die regulatorischen Anforderungen beschäftigen die Häuser.
Eva-Maria-Ringel, Projektmanagerin Nachhaltigkeit für das Center for Sustainable Insurance und die Versicherungsforen Leipzig stellt im Interview ein Instrument vor, das Versicherer in diesem dynamischen Umfeld mit auf ihre Bedarfe zugeschnittenem Wissen unterstützt: den Marktmonitor „Sustainable Insurance Industry".
Welche Entwicklungen lassen sich aktuell im Kontext Nachhaltigkeit am Versicherungsmarkt beobachten?
Insgesamt gestaltet sich die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in Versicherungsunternehmen sehr vielfältig, bezogen auf Zielsetzungen, Produktentwicklung und Fokusthemen. Zum aktuellen Zeitpunkt können wir in der Produktentwicklung tatsächlich keine eindeutige Richtung oder Tendenz festmachen. Vor zwei, drei Jahren zeigte sich hingegen ein klarer Trend zu Neuerungen im Bereich Hausrat oder Wohngebäude.
Es gibt aber dennoch Entwicklungen, die das vergangene Halbjahr prägten:
- Versicherer beschäftigen sich aktuell – auch aufgrund der Anforderungen an Klimawandelszenarien – mit einem Kompetenzaufbau im Bereich Klimarisiken. Entwickelt und angeboten werden zertifizierte Weiterbildungen und verschiedene Kernleistungen und Services zur Analyse und Beratung zu Klima- bzw. ESG-Risiken insgesamt. Es lässt sich eine Tendenz wahrnehmen, dass nicht nur für die Industrie, sondern auch für Privat- und Gewerbekunden derartige Ansätze entstehen. Das ist ein weiterer wesentlicher und konsequenter Schritt zur Stärkung der präventiven Auseinandersetzung mit Klimafolgen und der Integration von Nachhaltigkeit in das Kerngeschäft. Strategische Kooperationen mit Forschungseinrichtungen und Dienstleistern helfen der Branche dabei.
- Auch nachhaltige Immobilien gewinnen an Relevanz im Geschäft. Aber nicht nur rein aus ökologischer Sicht, sondern auch in Verbindung mit sozialen Aspekten. Auf der Investmentseite gibt es Beispiele für nachhaltigen Bildungsbau oder durchdachte Konzepte für klimafreundliche Wohnimmobilien. Produktseitig entstehen weiterhin nachhaltige Versicherungslösungen, die bspw. eine energetische Sanierung und klimafreundliche Reparatur vorsehen. In der Kranken-Sparte stehen wiederum psychische Gesundheit und Frauengesundheit hoch im Kurs.
Neben nachhaltigen Versicherungsprodukten und Ansätzen der einzelnen Unternehmen, wie steht es um branchenbezogene und -übergreifende Initiativen?
Mit dem Marktmonitor nehmen wir auch gezielt neue nachhaltige Initiativen in den Blick. In dieser Rubrik beleuchten wir branchenunabhängige und konkret die Finanzbranche betreffende Initiativen und heben Entwicklungen und neue Veröffentlichungen dieser hervor. So gibt es bspw. neue Zertifizierungsangebote für Unternehmen, die die Charta der Vielfalt unterzeichnet haben und gezielt Vielfalt managen sowie strukturell verankern wollen.
Auch nützlich sind die Veröffentlichungen der Science-Based-Targets-Initiative, die einen Net-Zero-Standard für Finanzinstitute veröffentlicht hat und eine praxisnahe Hilfestellung zur Ausrichtung von Kredit-, Investitions- und Versicherungsportfolios auf das 1,5°C-Ziel und Netto-Null bis spätestens 2050 liefern soll.
Ein weiterer Gedanke dazu: Im September 2025 kündigten das GHG-Protocol und ISO an, ihre bestehenden Standards zur CO2-Bilanzierung harmonisieren zu wollen. Hier ist es hilfreich, diese Entwicklungen zu verfolgen, da viele Versicherungsunternehmen das GHG-Protocol als Ansatz für ihre eigene Bilanz nutzen.
Welche Informationen benötigt ein Versicherungsunternehmen, das die nachhaltige Transformation erfolgreich gestalten will?
In der Branche hat sich mit weiter fortschreitenden Klimaveränderungen und zunehmenden Schäden sowie durch die steigenden regulatorischen Anforderungen ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit entwickelt. Allerdings fehlt es den Versicherern an einem umfassenden Überblick zu den aktuellen, für sie relevanten Entwicklungen am Markt.
Mit dem Marktmonitor haben wir ein Format geschaffen, das zum einen kompakt erläutert, welche Anforderungen im Kontext Nachhaltigkeit an die Versicherungsbranche gestellt werden – und zum anderen praktisch zeigt, wie sie diese aufnimmt und umsetzt. Daraus ist ein fortlaufender Report entstanden, der die Ausgestaltung der Transformation widerspiegelt. Seine zentrale Rolle ist also die eines „Befähigers" und Orientierungspunktes. Wir verweisen dabei ausschließlich auf öffentlich verfügbare Quellen, die wir unterjährig sammeln und auswerten. Neben Updates zu regulatorischen Anforderungen zeigen wir anhand konkreter Beispiele, wie andere Versicherer die Transformation bereits aktiv gestalten – sei es in der strategischen Ausrichtung, der Produktentwicklung oder der Unternehmenskultur. Eine wechselnde Rubrik greift zusätzlich aktuelle Diskussionen auf. In der aktuellen Ausgabe beleuchten wir bspw. Rüstungsinvestments in ESG-Fonds.
Für Versicherer können die gebündelten Informationen einen wichtigen Mehrwert bilden: Sie erhalten eine kuratierte Analyse, ohne die eigenen Ressourcen für die Recherche zu beanspruchen. Strategie- und Produktabteilungen nutzen die Insights, um eigene Ziele zu schärfen und innovative Ansätze zu entwickeln. Nachhaltigkeitsverantwortliche bleiben wiederum auf dem Laufenden und können fundierte Entscheidungen treffen. Letztlich soll der Marktmonitor vor allem dabei unterstützen, von den Erfahrungen anderer zu lernen, die eigenen Maßnahmen zu planen und Nachhaltigkeit so tiefer und wirksamer im gesamten Unternehmen zu verankern.
Zum Abschluss kurz & knapp: Drei Beispiele aus Markt, die du in den vergangenen Jahren besonders innovativ oder mehrwertig fandest?
Ich persönlich finde Beispiele gelungener Kooperationen stets sinnvoll, um in der Entwicklung neuer Ansätze voranzukommen. Das hat zum Beispiel die VHV in Bezug auf die Förderung der umweltgerechten Transformation der Bau- und Immobilienwirtschaft gezeigt. In Bezug auf Maßnahmen gegen steigende Schadenaufwendungen im Baugewerbe forscht die VHV verstärkt zu Präventionsmaßnahmen und Produktinnovationen, versorgt Kunden mit Bauschadenberichten und Studien zu Gebäudeschäden und kooperiert mit MOCEDI und Concular zur Entwicklung innovativer Versicherungslösungen für zirkuläres Bauen.
Weitere aus meiner Sicht interessante Beispiele sind ein interaktives Analyse-Tool zur Einschätzung von Klimarisiken seitens der Zurich, das speziell für mittelständische Firmen und öffentliche Institutionen konzipiert wurde, um Klimarisiken anhand von vier Klimawandelszenarien besser einschätzen zu können.
Und das letzte Beispiel kommt aus dem Bereich der Unternehmenskultur: das seit April 2025 bestehende Projekt „Bodenluft“ der Provinzial, das über einen Wettbewerb Flächenentsiegelung und gleichzeitig Biodiversität auf kommunaler Ebene fördert. Ein Beispiel, das Partizipation, Bewusstsein und Maßnahmen schafft und nochmal auf anderer Ebene zum Thema Nachhaltigkeit vernetzt.
Vielen Dank für das Interview!
Noch mehr Insights in die nachhaltige Entwicklung der Versicherungswirtschaft gibt es auf der Produktseite zum Marktmonitor. Einen Auszug der aktuellen Ausgabe können Sie sich dort kostenfrei herunterladen.