Vom Policenverkäufer zum lebenslangen Begleiter: Der Wandel des Versicherungsvermittlers

Im Interview mit Prof. Matthias Beenken erfahren wir, wie die Digitalisierung, der Einsatz von KI und die zunehmende Kundenbefähigung die Rolle des Versicherungsvermittlers grundlegend wandeln.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Vertrieb & Kunde
Themen:
Makler (privat) Kundenmanagement Vertrieb Digitalisierung
Vom Policenverkäufer zum lebenslangen Begleiter: Der Wandel des Versicherungsvermittlers

„Digitalisierung in der Versicherungswirtschaft ist eigentlich ein alter Hut“, sagt Prof. Dr. Matthias Beenken, der an der Fachhochschule Dortmund lehrt und Chairperson für das Thema „Vertrieb und Vertriebsunterstützung“ beim Messekongress Kundenmanagement in Versicherungen ist. Im Interview spricht er über die digitalen Herausforderungen der Branche, die Möglichkeiten von KI und die künftige Rolle der Vermittlerinnen und Vermittler als lebenslange Begleiter.  

Prof. Dr. Beenken, als Chairperson für das Thema „Vertrieb und Vertriebsunterstützung“ beim Messkongress Kundenmanagement haben Sie einen umfassenden Überblick zu aktuellen Entwicklungen. Die Kunden-Vermittler-Beziehung verändert sich durch die Digitalisierung rasant – welche zentralen Trends sehen Sie aktuell, die den Versicherungsvertrieb am stärksten prägen?

Digitalisierung in der Versicherungswirtschaft ist eigentlich ein alter Hut. Die erste automatisierte Massenverarbeitung von Daten wurde vor genau 100 Jahren bei einem Versicherungsunternehmen eingeführt, damals noch mit der mechanischen Hollerith-Lochkartenmaschine. Heute steht die Branche allerdings noch weitgehend vor einem Schritt, den der Onlinehandel längst gegangen ist, nämlich ihre Kunden zu befähigen, sich selbst zu beraten und ihre Verträge selbst zu managen.

Noch gelten Versicherungen als so komplex und so wenig aus sich selbst heraus „sexy“, dass eine hierarchische Vertriebsorganisation aufrechterhalten wird. An der Spitze steht das Versicherungsunternehmen, das allein über Gestaltung und Bepreisung von Versicherungen entscheidet. Darunter steht der Vermittler als Gatekeeper mit immer noch überlegenen Informationen und exklusivem Zugang zum Versicherungsprodukt. Der Kunde schließlich findet sich ganz unten in der Hierarchie wieder und soll dankbar sein, Beratungs- und Vermittlungsleistungen zu empfangen. Ich glaube, das wird sich nach und nach im Privatkunden-Massengeschäft ändern. Der personengebundene, stationäre Vertrieb schafft es schon heute nicht mehr, in der Breite und betriebswirtschaftlich sinnvoll Märkte für zum Beispiel Kfz-, Hausrat-, Privathaftpflicht-, Kranken- und Pflegezusatzversicherungen zu erschließen.

Ein Treiber der Veränderung wird künstliche Intelligenz sein, die mit dem Kunden in einen aktiven Dialog tritt und ihn sanft, aber nachhaltig auf Deckungslücken hinweist und hilft, diese zu schließen.

Begriffe wie Speed, Flexibilität, Digitalpräsenz und Individualisierung stehen zunehmend im Fokus. Wie können Vermittler diese Anforderungen in der Praxis umsetzen, ohne dabei vertriebliche „Basics“ wie Vertrauen und Beratungsqualität zu vernachlässigen?

Eine zentrale Anforderung ist eine sehr gute Verkaufsunterstützung durch CRM und Beratungssoftware. Vermittler müssen von basalen Aufgaben wie dem Aufbereiten und Auswerten von Informationen entlastet werden. Das gilt besonders für den Fall, dass solche Informationen an verschiedenen Stellen entstehen und zusammengeführt werden müssen. Also wenn der Kunde beispielsweise auf der Webseite des Versicherers einen Tarifrechner benutzt, bei der Telefonhotline einen Schaden meldet oder sich mit einer Rückfrage per Messenger an einen Mitarbeitenden im Vermittlerbüro wendet – nichts davon sollte verloren gehen. Der Vermittler muss dabei unterstützt werden, Kundenbedarfe ganzheitlich zu erfassen und zu beraten, anstatt aktions- oder, noch schlimmer, zufallsgetrieben Einzelprodukte anzusprechen. 

In der Diskussion um digitale Vertriebsstrategien wird oft die Bedeutung persönlicher Beratung hinterfragt. Welche Rolle spielen klassische Vertriebswerte in einer zunehmend technologiegetriebenen Branche?

Die Rolle des Vermittlers wandelt sich weg vom abschluss- und provisionsgetriebenen Policenverkäufer hin zum lebenslangen Begleiter. In dieser neuen Rolle berät und unterstützt er die Kunden bei schwerwiegenden Kaufentscheidungen wieder Altersvorsorge, vor allem aber auch in der laufenden Betreuung und im Schadenfall. Da spielen Vertrauen und Beratungsqualität weiterhin oder sogar noch vermehrt eine zentrale Rolle. Bei einfachen Massenprodukten hingegen gibt es effizientere Vertriebsmethoden als die persönliche Ansprache vor Ort.

Inwiefern muss sich auch die Weiterbildung von Vermittlern verändern, um mit den neuen Anforderungen Schritt zu halten? Welche Kompetenzen sind in der digitalen Zukunft besonders gefragt?

Vermittler sollten vor allem lernen, in Prozessen statt in Einzelaktivitäten zu denken. Und diese Prozesse bewusst zu gestalten und immer wieder selbstkritisch zu reflektieren, welches Optimierungspotenzial in ihrem Betrieb zu finden ist. Weiterbildung kann helfen, Bequemlichkeit und fehlende Selbstkritik aufzubrechen. (Verkaufs-)Erfolg ist bei Vermittlern genauso wie in anderen Branchen auch der größte Feind der Innovation – es läuft doch auch so bestens, warum also muss ich mich hinterfragen und anpassen?

Was zum Glück an Bedeutung verliert, sind digitale Kompetenzen im Sinne einer Bedienfähigkeit digitaler Anwendungen. Diese werden immer intuitiver, und notfalls fragt der ältere Vermittler seine hoffentlich vorhandenen, jüngeren Mitarbeitenden und Auszubildenden um Rat – so lernen beide voneinander.

Vielen Dank!