Führung im Umbruch: Wer führt die Versicherer in die Zukunft?
Eine aktuelle Umfrage zeigt: Während die Versicherungsbranche noch an alten Hierarchien festhält, fordern Mitarbeitende und junge Talente längst eine neue Art der Führung – lesen Sie hier, vor welchem Wandel die Branche steht.

Versicherungsunternehmen stehen derzeit tiefgreifenden Veränderungen gegenüber: Angesichts von Digitalisierung, neuen regulatorischen Anforderungen und veränderten Kundenbedürfnissen steigt die Bedeutung effektiver Führung.
Eine aktuelle Umfrage unter Führungskräften und Mitarbeitenden der Branche untersucht den Status quo der Führungskultur sowie damit verbundene Erwartungen und Herausforderungen. Die Ergebnisse liefern wichtige Einblicke in zentrale Erkenntnisse und ordnen sie in den aktuellen Kontext der Branche ein.
Demografische Struktur der Befragten
Die Umfrage wurde im Januar 2025 unter Fach- und Führungskräften aus Versicherungsunternehmen durchgeführt. Insgesamt haben 171 Personen teilgenommen. Die Teilnehmenden stammen aus einer breiten Altersspanne. Die größte Gruppe bilden die 46- bis 55-Jährigen, gefolgt von den 36- bis 45-Jährigen.
Lediglich 14 Prozent der Teilnehmenden gehören zur Gruppe der unter 35-Jährigen, was die zunehmende Bedeutung von Nachwuchskräften im Management unterstreicht. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage, wie attraktiv Führungsrollen für junge Talente sind und wie diese gestaltet sein sollten, an Relevanz. Die Verteilung von Führungskräften und Mitarbeitenden bzw. den Geschlechtern ist relativ ausgeglichen.
Führungsmodelle und -kultur: Status quo
Die Verbreitung moderner Führungsmodelle in Versicherungsunternehmen zeigt ein ambivalentes Bild: Klassische hierarchische Führung ist nach wie vor das dominierende Modell. Die Mehrheit der Unternehmen setzt weiterhin auf klar definierte Führungsrollen mit Linienverantwortung.
Gleichzeitig gibt es punktuell Versuche, agile oder partizipative Modelle zu etablieren, etwa durch laterale Führung, in der Fachverantwortliche temporär Führungsaufgaben übernehmen, oder durch verteilte Führung in Teams. Allerdings bleiben diese Ansätze in der Minderheit und sind oft auf Pilotbereiche beschränkt.
Besonders in größeren Organisationen zeigt sich eine Diskrepanz zwischen offizieller Führungsphilosophie (z. B. Förderung von Eigenverantwortung und Selbstorganisation) und dem gelebten Führungsalltag, der weiterhin stark durch klassische Weisungsbefugnis geprägt ist.
Führungskompetenzen: Erwartungen vs. Realität
Die Umfrage zeigt, dass Mitarbeitende in Versicherungsunternehmen von ihren Führungskräften weniger erwarten, genaue Instruktionen zu erteilen und Aufgaben zu zuweisen. Stattdessen stehen eher folgende Kompetenzen im Vordergrund:
- Informationsweitergabe: Der Wunsch nach klarer, transparenter Kommunikation steht ganz oben.
- Feedback geben und nehmen: Die Fähigkeit, Mitarbeitenden individuell Rückmeldung zu erteilen und gleichzeitig Rückmeldung von Mitarbeitenden anzunehmen, wird als essenziell betrachtet.
- Orientierung des Teams: Angesichts des hohen Veränderungsdrucks in der Branche liegt es in der Verantwortung der Führungskraft, Ziele und Nutzen des Teams herauszustellen und zu vermitteln.
Die Wahrnehmung darüber, wie gut die Führungskraft diesen Aufgaben nachkommt, fällt gemischt aus. Während Informationsweitergabe und Feedback oft als „eher hoch“ oder „sehr hoch“ bewertet werden, gibt es in Bezug auf die Orientierung des Teams noch deutliche Defizite. Interessant ist außerdem, dass der Punkt „Vermittlung von neuem Wissen, Erlangen neuer Kompetenzen“ an letzter Stelle genannt wird. Scheinbar sehen sich Führungskräfte weniger als Personalentwickler, was gerade vor dem Hintergrund neuer und wachsender Anforderungen an die Mitarbeitenden problematisch erscheint.

Wertschätzung und Zufriedenheit
Mangelnde Wertschätzung durch Führungskräfte ist ein häufiger Grund für Kündigungen der Mitarbeitenden. Knapp drei Viertel (72 Prozent) der Befragten fühlen sich durch ihre Führungskraft „sehr hoch“ und „hoch“ wertgeschätzt. Hingegen bewerten sich Führungskräfte mit 81 Prozent dabei etwas besser. Aber wenn Wertschätzung gegeben wird, bewerten Mitarbeitende das Maß höher als Führungskräfte.
Einblicke in die Zufriedenheit von Mitarbeitenden mit ihrer Führungskraft konnten ebenfalls durch die Umfrage erlangt werden: 60 Prozent der Mitarbeitenden sind „zufrieden“ oder „eher zufrieden“. Eine weniger zufriedenstellende Erfahrung machen somit 40 Prozent der Mitarbeitenden. Die Frage nach erlebter Zufriedenheit mit der eigenen Führungskraft stellt somit ein klares Spannungsfeld dar.
Selbstorganisation und verteilte Führung
Ein spannendes Ergebnis betrifft die Offenheit gegenüber neuen Führungsmodellen. 82 Prozent der befragten Führungskräfte zeigt sich offen dafür, bestimmte Führungsaufgaben an das Team zu delegieren – und 79 Prozent der befragten Mitarbeitenden gibt an, Interesse an der Übernahme von Führungsaufgaben zu haben. Dies deutet auf eine wachsende Bereitschaft hin, klassische Hierarchien aufzubrechen und Teamverantwortung zu stärken. Keine Führungskraft gab an, dem Konzept der verteilten Führung vollkommen abgeneigt zu sein. Auch die große Übereinstimmung in dem Grad, in dem Mitarbeitende und Führungskräfte Selbstorganisation als wichtig erachten, stellt eine wichtige Grundvoraussetzung für die Umsetzung des Modells dar.
Allerdings zeigt sich auch eine klare Grenze: Nur ein geringer Teil der Befragten wäre bereit, für die Abgabe von Führungsaufgaben Gehaltseinbußen in Kauf zu nehmen. Dies deutet darauf hin, dass Führungsverantwortung nach wie vor stark mit Status und materieller Anerkennung verbunden und auch durch Führungskräfte gewollt ist.
Attraktivität von Führungsrollen für junge Talente
Besonders interessant ist die Perspektive auf Nachwuchsführungskräfte. Die Umfrage zeigt, dass 87 Prozent der jungen Mitarbeitenden durchaus Interesse an Führungsaufgaben haben. Dabei werden folgende Motivatoren genannt:
- Die Weiterentwicklung von Fähigkeiten hat hohe Priorität.
- Gleichauf stehen ein hohes Gehalt, Verantwortung, Selbstverwirklichung und Sinn in der Tätigkeit.
- Als gänzlich unwichtig wird das Machtbedürfnis angegeben.
Diese Ergebnisse zeigen, dass junge Mitarbeitende klare Vorstellungen von Führung und ihren persönlichen Prioritäten haben.
Herausforderungen im Führungsalltag
Ein wiederkehrendes Thema in der Umfrage ist die Doppelbelastung vieler Führungskräfte. Die Mehrheit der Befragten empfindet es als Herausforderung, die Balance zwischen fachlichen Aufgaben und Führungsverantwortung zu finden.
Der Fokus liegt besonders häufig auf operativen Anforderungen, sodass für die aktive Teamführung, Entwicklungsgespräche oder Feedbackformate wenig Zeit bleibt. Dies führt dazu, dass Führung oft reaktiv statt proaktiv gelebt wird – Führung ist eine „Nebenbei-Aufgabe“.
Zu den größten Herausforderungen, die Führungskräfte in der Umfrage benennen, gehören:
- Vereinbarkeit von Führung und operativen Aufgaben
- mangelnde Selbstorganisation bei Mitarbeitenden
- Erleben von Stress im Berufsalltag
Positive Ergebnisse liefern die Faktoren Vertrauen in Mitarbeitende und die Bereitschaft, Mitarbeitenden Aufgaben zu übertragen: Diese beiden stellen laut Umfrage die geringsten Herausforderungen dar.
Fazit
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass Führung in der Versicherungswirtschaft einem grundlegenden Wandel unterliegt: Während klassische Hierarchiemodelle weiterhin den Alltag prägen, wächst gleichzeitig die Offenheit für partizipative und selbstorganisierte Ansätze – sowohl bei Führungskräften als auch bei Mitarbeitenden. Insbesondere junge Talente signalisieren eine hohe Bereitschaft zur Übernahme von Führungsverantwortung, stellen dabei jedoch klare Anforderungen an Sinn, Entwicklung und Wertschätzung. Gleichzeitig bleiben Herausforderungen wie die Vereinbarkeit von operativen Aufgaben und Führungsverantwortung bestehen, was zeigt, dass nachhaltige Veränderungen in der Führungskultur nicht nur strukturelle, sondern auch organisatorische Anpassungen erfordern.
zur Umfrage: Management & Leadership