Nachhaltigkeit in Versicherungen: Die soziale Dimension von Nachhaltigkeit rückt in den Fokus

Im Beitrag fassen wir einige Impulse der Sustainable Insurance Convention 2023 zusammen.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Strategie & Innovation
Themen:
Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit in Versicherungen: Die soziale Dimension von Nachhaltigkeit rückt in den Fokus

Dem “S” in ESG wird mehr Raum gegeben 

„Sustainable Insurance: Zeit, zu Handeln!“ lautete der Titel der ersten Keynote. Getreu dieser Handlungsaufforderung führte Dr. Monika Sebold-Bender die Teilnehmenden sowohl fachlich als auch emotional in die zweitägige Veranstaltung. Als Mitglied der Deutschen Gesellschaft CLUB OF ROME e.V. stellte sie eingangs den aktuellen Club-of-Rome-Bericht „Earth for all“ vor. Dieser beleuchtet sowohl die aktuellen planetaren Grenzen als auch konkrete Handlungsfelder, in denen mit vergleichbar kleinen Maßnahmen große Veränderungen erreicht werden können.  

Durch ihre Position als Multi-Aufsichtsrätin fiel es der Speakerin im Anschluss nicht schwer, der Assekuranz sinnvolle Schritte an die Hand zu geben, damit die Branche in Bezug auf Nachhaltigkeit schneller und konkret ins Handeln kommt. Besonders Impact Underwriting und Impact Investing sollen dabei eine große Rolle spielen. Aber auch der sozialen Perspektive widmete sie sich in ihrer Keynote intensiver. Die Unternehmen sind bislang kaum divers: Die Vorstände sind zu 83 Prozent männlich, in der Regel über 53 Jahre alt und weiß. Zudem gibt es kaum jemanden mit einer richtigen IT-Ausbildung unter den Vorständen, was mit Hinblick auf den Digitalisierungsdruck verwunderlich ist.  

Auch die Keynote von Dr. Kai-Uwe Schanz, Deputy Managing Director, Head of Research & Foresight bei der The Geneva Association widmete sich dem “S”. Die Geneva Association ist ein internationaler Think-Tank von Erst- und Rückversicherern, mit dem Ziel, die Auswirkungen der Megatrends auf die Versicherungsbranche zu erforschen.  

Gleich zu Beginn betonte er: „Der soziale Fußabdruck, den unsere Branche hinterlässt, ist enorm. Umso verwunderlicher, dass das Thema soziale Nachhaltigkeit so wenig Aufmerksamkeit erfährt“. In seinem Vortrag ging er auf die Erkenntnisse eines kürzlich veröffentlichten Geneva-Papers ein, das sich mit der Erfassung des sozialen Fußabdrucks der Versicherer beschäftigt. Das Thema ist durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg präsenter denn je. Versicherer müssen das Thema mehr in den Fokus rücken. Zur Erfassung des eigenen Fußabdrucks erläutert Schanz drei Scopes: Mitarbeiter, Communities und am wichtigsten: der soziale Impact entlang der Wertschöpfungskette. Spannende ESG-Hebel der Assekuranz sind neben Impact Investing und Prävention auch Impact Underwriting, also Policen, die klare Anreize schaffen, in Nachhaltigkeit zu investieren. Social sustainability sollte Kernprodukt der Versicherer sein. Zudem sieht er klaren Handlungsbedarf bei dem Thema finanzielle Inklusion und der Schließung von protection gaps. 

Neu in diesem Jahr waren die interaktiven Formate der Meet-ups und Massterclasses. Prof. Dr. Andrea Dorothea Bührmann, geschäftsführende Direktorin des Instituts für Diversitätsforschung an der Uni Göttingen begann das Meet-up Diversity Management und berichtete aus der Perspektive einer Diversitätsforscherin, -beraterin und -managerin. Sie erläuterte die unterschiedlichen Diversitätsstrategien: Effizienz, Chancengleichheit und Exzellenz sowie drei Treiber der Ausbreitung von Diversitätsstrategien. Diversitätsstrategien werden (auch in Unternehmen) unterschiedlich gehandhabt, dienen jedoch immer dazu, Diskriminierung zu vermindern und Inklusion zu ermöglichen.  

Wie sich das Diversity-Management der AXA transformiert hat, darüber referierte Mara Pohlmann, Spezialistin Diversity, Equity & Inclusion, AXA Konzern AG. Für Menschen sei es schwierig, alte Routinen loszulassen und sich auf neue Denk- und Verhaltensweisen einzulassen. Von heute auf morgen könne kein Unternehmen divers werden, dahinter stehe ein langer Prozess. Zuallererst sollten die Relevanz erkannt werden, Ziele definiert und vor allem eine verantwortliche Person identifiziert werden. Auch wenn erste Maßnahmen wie beispielsweise mehr Frauen in Führungspositionen gestartet sind, sollte alles ständig hinterfragt und kritisch reflektiert werden. Zudem braucht es Multiplikatoren in Unternehmen, die das Thema immer wieder auf der Agenda platzieren und sichtbar machen. 

Raum für neue Themen: Was bedeutet Kreislaufwirtschaft für die Assekuranz? 

Intensiv diskutiert wurde im Meet-up zum Thema Kreislaufwirtschaft. Dr. Rahel Meili, Dozentin an der Berner Fachhochschule, stellte das Konzept der Kreislaufwirtschaft vor und zeigte, wie weit die Schweiz bei dem Thema ist. Bei der Kreislaufwirtschaft geht es darum, gebrauchte oder defekte Güter wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückzuführen. Stichworte sind hier u. a. reparieren, wiederverwenden oder recyceln. Das Thema rückt immer mehr ins Zentrum, da der weltweite Materialverbrauch enorm steigt und unsere Ressourcen endlich sind. Insbesondere in der Baubranche werden die Verknappungseffekte deutlich und genau hier gibt es bereits vermehrt Unternehmen, die alte Baustoffe wiederverwenden und nicht teuer entsorgen. Für die Schweiz als Land mit wenig eigenen Ressourcen ist die Kreislaufwirtschaft vor allem ein Thema der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Einer aktuellen Studie zufolge kann man bei zehn Prozent der Schweizer Unternehmen erkennen, dass sie substanziell das Konzept der Kreislaufwirtschaft anwenden.  

Meili erläuterte, dass die Kreislaufwirtschaft recht facettenreich ist und bereits Maßnahmen wie das Reparieren, Secondhand oder Sharing-Economy-Kriterien der Kreislaufwirtschaft erfüllen. Genau hier können Versicherer ansetzen: So entstehen im Zuge der Sharing-Economy neue Anforderungen und Risiken. Im Schadenmanagement sollte man die Kunden dahingehend sensibilisieren, dass neu nicht immer besser ist. 

Impulse aus der Branche 

Nachhaltigkeit ist kein Projekt, das irgendwann endet. Die LVM Versicherung entschied deshalb, einen Nachhaltigkeitsbereich zu gründen. Judith Peters, Bereichsleiterin Nachhaltigkeit, berichtet an den Vorstandsvorsitz. Das Nachhaltigkeitsteam wird außerdem von einem Nachhaltigkeitsnetzwerk mit 30 Mitarbeitenden aus verschiedenen Fachbereichen unterstützt.  

Um die Nachhaltigkeitsberichterstattung transparenter zu gestalten, überarbeitete die LVM ihren Nachhaltigkeitsbericht angelehnt an den GRI-Standard. Mit Inkrafttreten der CSRD will die LVM außerdem für das Berichtsjahr 2024 mit einem Nachhaltigkeitscontrolling berichtsfähig sein. Dafür wird ein Data Hub aufgesetzt, in dem sowohl CSRD-Kennzahlen als auch strategische Kennzahlen erhoben werden.  

Branchenweit steht Nachhaltigkeitscontrolling oftmals erst am Anfang und befindet sich in vielen Unternehmen im Aufbau. Herausfordernd können dabei Kapazitätsgrenzen der Mitarbeitenden sein.  Oder auch eine fehlende klare Definition von Nachhaltigkeit insbesondere bei Kennzahlen sowie bei der Erreichbarkeit der Stakeholder auf allen Hierarchieebenen. 

Welche Erfahrungswerte zeigen sich bei der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen und der Beratung zu Nachhaltigkeit in der Vertriebspraxis? Diskutiert wurde diese Frage im Panel Vertrieb & Kommunikation.  

Einen Einblick gab u. a. Roland Räcker, Fachverantwortlicher für Nachhaltigkeit bei der Concordia oeco Lebensversicherungs-AG. Er sieht die Verordnung zur Präferenzabfrage weniger als Pflicht, viel eher sei es eine Frage der Kür, die Thematik an Vermittlerinnen und Vermittler sowie an die Kundinnen und Kunden weiterzugeben. Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Thema, das in der Gesellschaft omnipräsent ist. Räcker betonte, dass die Bereitschaft auf Seiten der Kundinnen und Kunden für nachhaltige Versicherungsprodukte da sei. Eine wichtige Vertriebschance – sie müsse vom Vertrieb jedoch auch als solche begriffen werden. Aktuell fehle es vor allem von Seiten des Vertriebs jedoch noch an dem nötigen Wissen, die Präferenzen auf einem der Zielgruppe angemessenem Niveau abzufragen und auf Fragen eingehen zu können. Auf diesem Weg könne auch eine klare Positionierung als richtige Ansprechperson für das Thema gelingen. 

Volker Bohn, Organisationsdirektor Key Accounts und Nachhaltigkeitsbeauftragter bei der Stuttgarter Lebensversicherung a.G. machte deutlich, dass Glaubwürdigkeit das höchste Gut der Versicherungsbranche ist. Um dieses zu erhalten, sei eine aufrichtige Vermittlung von Informationen durch den Vertrieb erforderlich. Viele Kundinnen und Kunden haben beim Thema Nachhaltigkeit einen vergleichsweisen geringen Wissensstand, schon „ESG“ ist längst nicht allen ein Begriff. Mit der richtigen Ansprache auf sachlicher, informationsbezogener Ebene und einem Fokus auf das ökologische Handeln könne die Beratung jedoch gut gelingen. Dies sei auch wichtig, denn nur durch Beratung könne Nachfrage nach nachhaltigen Produkten geschaffen und damit die Transformation vorangetrieben werden, resümierte Bohn. 

Im Panel Risikomanagement und Kapitalanlage fokussierte sich Georg Schalaschov, Riskmanager bei der Allianz Lebensversicherungs AG, auf NiGEM und Klimarisiken und was Aktuare damit zu tun haben. 

Er gab einen Überblick zu den verschiedenen Modellen und Szenarien wie RCP (Representive Concentration Pathway), SSP (Shared Socioeconomic Pathway) und NGFS (Network für Greening the Financial System). Weiterhin stellte er ausführlicher NiGEM (National Institute Global Econometric Model) vor, ein globales makroökonomisches Modell mit individuellen Ländermodellen für die wichtigsten OECD-Länder. Zum Abschluss gab er einen Überblick zu den Beiträgen der Aktuare zu Klimarisiken, unter anderem in verschiedenen Arbeitsgruppen der Deutschen Aktuarvereinigung. 

Im zweiten Vortrag gab Dr. Volker Becker, Referent Gesamtrisikomanagement bei der Provinzial Versicherung AG, einen Werkstattbericht zum Thema Klimawandelszenarien im ORSA und der Umsetzung bei der Provinzial. Ein interdisziplinäres Team aus fünf Mitarbeitenden hat daran gearbeitet, die verschiedenen Szenarien zu analysieren, zu berechnen und die Auswirkungen auf die Provinzial zu beschreiben.  

Die Berechnungen zeigten spürbare, aber tragbare Belastungen für den Versicherer, der durch sein begrenztes Geschäftsgebiet innerhalb Deutschlands eine hohe Versicherungsdichte und damit Kumulrisiken hat.  

Zur Quantifizierung wurden jeweils mehrere Datenquellen genutzt. „Wünschenswert wäre es, alle Daten aus einer Quelle zu haben“, sagte Dr. Volker Becker zum Abschluss. 

Im Fachforum Produkt- und Schadenmanagement erläuterte Markus Herrmann, Abteilungsdirektor Kraftfahrtversicherung/ Individualkunden bei der Helvetia Schweizerische Versicherungsgesellschaft AG - Direktion für Deutschland, was sich hinter dem Helvetia eCar verbirgt. Die neuen technologischen Entwicklungen führen zu neuen Bedürfnissen auf der Kundenseite. Hermann zu Folge werden die Bedürfnisse des „eKunden“ noch nicht optimal bedient. Die klassischen Kfz-Tarife wurden auf den „eKunden“ übersetzt. Es braucht jedoch ein zielgruppenspezifisches Produkt für Elektromobilität. Mit dem Wandel der Mobilität muss sich auch die Versicherung wandeln. Highlights beim Helvetia eCar-Produkt sind u.a. ein monatliches Kündigungsrecht, keine klassischen Schadenfreiheitsklassen, keine Prämienerhöhung im Schadenfall, freie Werkstattwahl und Prämienrückgewähr von 15 Prozent der Jahresprämie bei einem schadenfreien Jahr. Weitere Leistungen sind ein Cyberschutz, Mobilitätsschutz oder 36 Monate Kaufpreisschutz. Wesentlich beim Produktdesign war der Kunde, der transparent erfassen soll, was der Schutz alles umfasst. Bei der Produktentwicklung hat die Helvetia auf der grünen Wiese angesetzt und sich von klassischen Kfz-Produktbestandteilen gelöst.   

Nachhaltige Produktentwicklung – zwischen Greenwashing und echten Mehrwerten, darum ging es im Impuls von Nils König, Bereichsleiter Privatschutz SHU bei der Alte Leipziger Versicherung AG.  

König begann mit der Erläuterung der sieben Sünden des Greenwashings: Diese sind versteckte Kompromisse, fehlende Nachweise, Unschärfe, Irrelevanz, geringes Übel, Lüge oder gar ein falsches Label. Grüne Lügen sind keine Straftat, aber können durchaus großen Schaden für das Unternehmen bedeuten. Auch die EU hat das Thema Greenwashing auf dem Tisch. Zudem gehen Verbraucherzentralen aktiv gegen grüne Lügen in der Assekuranz vor. Betrachtet man die Kundensicht, zeigt sich, dass Nachhaltigkeit im Trend liegt, im Idealfall jedoch nichts kosten soll. Die Kunden sind aufgrund von Preissteigerungen immer weniger dazu bereit, für Nachhaltigkeit mehr zu zahlen, erläuterte König anhand von zahlreichen Studien.  

Die Nachhaltigkeitsvision der Alten Leipziger: Das eigene Portfolio um nachhaltige Produkte erweitern und die internen Prozesse nachhaltiger gestalten. Bzgl. nachhaltiger Produkte zeigte König auch einige Beispiele auf: So kann der Kunde beispielsweise die “Papierlos-Option” wählen und spart bis zu 12 Prozent der Prämie. Bei der Absicherung von Natur- und Elementargefahren erstattet die AHL ihren Kunden den Neu- anstatt des Zeitwertes bei einem Wiederaufbau eines Wohngebäudes an einem anderen Ort.  

Spannend war auch die Diskussion am Ende des Panels. Einig waren sich die Teilnehmenden, dass man über komplett neue Konzepte bei nachhaltigen Produkten nachdenken muss. Da ist mehr Mut in der Branche gefragt. Aber auch Services können spannende Ergänzungen bei entsprechenden Produkten sein. 

Zum Abschluss noch Neues aus der Start-up-Welt: Auch in diesem Jahr wurde der Sustainable Rockstar Award verleihen. Der Award ging an FixFirst: Von der Wegwerfgesellschaft in die Kreislaufwirtschaft: das hat sich das 2020 in Berlin gegründete Start-up zur Mission gemacht. Mit ihrem digitalen B2B2C-Marktplatz will Fixfirst das Problem der oft langandauernden und kostspieligen Reparaturen nach dem Motto Repair statt Replace lösen, erzählt Fixfirst-Mitgründer Sebastian Daus. Die dafür entwickelte App wurde speziell auf Elektronik-Reparaturen spezialisiert, Fixfirst expandiert derzeit aber auch in andere Märkte wie Fashion. 

Wer Lust hat, selbst mit den Kollegen aus den Versicherungshäusern in den Austausch zu kommen, sollte sich den 6./7. Juni 2024 freihalten. Zudem hat das Center for Sustainable Insurance eine Community gegründet, deren Ziel es ist, die Nachhaltigkeitsexperten in den regelmäßigen Austausch zu bringen.


Zur Community

Themen Tags