Nachhaltigkeit @Assekuranz: Die Branche muss sich nicht verstecken

Im Beitrag geben wir einen Rückblick auf die erste Sustainable Insurance Convention 2022 des Centers for Sustainable Insurance und der Versicherungsforen Leipzig.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Strategie & Innovation
Themen:
Nachhaltigkeit Strategie Start-ups
Nachhaltigkeit @Assekuranz: Die Branche muss sich nicht verstecken

Zum ersten Mal kam am 31. Mai und 1. Juni 2022 die Branche in Leipzig zusammen, um bei der Sustainable Insurance Convention Chancen und Herausforderungen von Nachhaltigkeit in der Assekuranz zu diskutieren.

Knapp 200 Teilnehmende aus Versicherungshäusern, von Dienstleistern, Start-ups und der Wissenschaft hörten inspirierende Keynotes und Fachvorträge, lernten sich beim Business-Speed-Networking besser kennen und tauschten sich beim Experience Exchangen zu konkreten Fragestellungen aus.

Expedition in die Arktis und die Verantwortung der Branche

Im Eröffnungsvortrag nahm Polar- und Klimaforscher Prof. Dr. Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit auf die MOSAiC-Polarexpedition. Rex leitete die Expedition, die der Erforschung des Klimawandels auf die Arktis diente. Ein ganzes Jahr lang war das Schiff „Polarstern“ in der Arktis unterwegs – eingeschlossen im Eis driftete sie von September 2019 bis Oktober 2020 um den Nordpol. Die Ergebnisse sind sowohl eindeutig als auch erschreckend: „Wir haben dem Eis wirklich beim Sterben zugeschaut“, fasste Prof. Rex seine Eindrücke zusammen. Er betonte „Unsere Generation ist die letzte, die die Arktis noch retten kann“. Trotzdem zeigt er sich hoffnungsvoll. Klimaschutz ist seiner Auffassung nach eine Innovations- und Investitionsaufgabe.  Gerade die Versicherungsbranche mit ihrem enormen Investitionspotential habe die Verantwortung, ihr Kapital in nachhaltige Transformationen zu investieren, um die Erderwärmung so weit wie möglich beschränken zu können.

Nachhaltigkeit betrifft alle Bereiche und Wertschöpfungsstufen der Assekuranz, daher war es Ziel der Convention, das Thema ganzheitlich abzubilden, aber auch inhaltliche Tiefe zu ermöglichen. An beiden Konferenztagen konnten sich die Teilnehmenden in den vier Fachpanels Nachhaltigkeitsmanagement/-strategie & Regulatorik, Produkt- und Schadenmanagement, Risikomanagement & Kapitalanlage sowie Vertrieb & Kommunikation informieren und diskutieren.

Nachhaltigkeitsmanagement/-strategie & Regulatorik

Hier stellte zunächst Jan-Hendrik Uhlenberg von Q_PERIOR in seinem Vortrag das ESG- Branchenbarometer 2022 vor. Er sprach über die Chancen, die durch die Implementierung der ESG-Kriterien entstehen. Weitere Ergebnisse:

  • 76 % der Befragten beschäftigen sich mit der Umsetzung der EU-Taxonomieverordnung (46 Nachhaltigkeitsexperten aus Versicherungen nahmen teil).
  • 80 % haben den Wunsch nach interner und externer Vernetzung, um die Komplexität der ESG-Themen zu meistern.
  • 26 % erheben keine KPIs, ein Großteil hat noch kein Tool, um die erhobenen Kennzahlen auszuwerten.

Im Anschluss stellte Astrid Bayer den Fahrplan der Nachhaltigkeitsaktivitäten des Provinzial Konzerns vor, den „Greenprint“, und erläuterte den Weg von der Strategie hin zu wirkungsorientierten Maßnahmen​.

Nach der Mittagspause an Tag 1 skizzierten Kristina Stiefel von PwC und Lisa Janke von der Gothaer die Fragen, die die Versicherungsbranche bezüglich Eligibility und Alignment der EU-Taxonomie aktuell besonders beschäftigen. So erläuterten sie zum Beispiel, wie unterschiedlich der Scope der einzubeziehenden Investments aus der Taxonomie abgeleitet werden kann und welche Herausforderungen die Interpretation des Grundsatzes „do no significant harm“ (DNSH) mit sich bringt.

Anschließend gab Lisa Janke einen Einblick in die Nachhaltigkeitsstrategie der Gothaer und betonte noch einmal, was das Thema für die Versicherungsbranche aktuell bedeutet. „Wir sehen ganz klar, dass klimabedingte Schadensereignisse und die Regulatorik einen großen Einfluss auf die Branche haben. Die Umstände ändern sich – und die Frage, die bleibt, ist: ändern wir uns mit?“

Produkt- und Schadenmanagement

Wie nachhaltiger Einkommensschutz über die Kapitalanlage hinausgedacht werden kann, stellte Lisa Gracklauer von der Nürnberger Versicherung vor. In der Produktgestaltung lassen sich, getreu dem Ansatz der Sustainable Development Goals (SDGs), nicht nur ökologische, sondern beispielsweise auch gesundheitliche Aspekte in Form von Zusatzservices berücksichtigen.

Bernd Lehmkuhl (PPI AG) sprach anschließend darüber, wie Versicherer die Nachhaltigkeitspräferenzen von Kunden erfassen und berücksichtigen können. Die Produktentwicklung ist mehr denn je gefragt, auf die sich wandelnden und nicht immer eindeutigen Anforderungen von Markt, Kunde und Vertrieb zu reagieren. Eine der großen Herausforderungen liegt heute und in Zukunft darin, die Präferenzen der Kunden in puncto Nachhaltigkeit für beide Seiten verständlich erfassen und an den Vertrieb übermitteln zu können.

Nach der Mittagspause stellte am ersten Konferenztag Produktentwickler Christian Seegers den Umwelt-Baustein in der Hausratversicherung der Concordia vor. Im Anschluss gab Sven Jantzen von SkenData Impulse für nachhaltige Versicherungsprodukte

Risikomanagement & Kapitalanlage

Im ersten Block dieses Panels bestimmte das Thema Dekarbonisierung die Vorträge und Diskussionen. Dr. Udo Riese (Allianz Investment Management) sprach unter anderem über die notwendigen Anpassungen an die Organisation und Prozesse sowie die Auswirkungen auf die Portfoliosteuerung. Danach gab Sven Simon von der SV SparkassenVersicherung einen Einblick in die Praxis und Fallstricke in der Steuerung von liquiden Portfolien.

Am Nachmittag des ersten Tages gab Risikocontroller Leon Kredt in einem Praxisbericht einen Einblick, wie die Barmenia Versicherungen mit der Durchführung von Klimastresstests und Szenarioanalysen umgeht. Bei der unternehmenseigenen Methodik zur Bewertung der Auswirkungen von Klimawandelrisiken geht es auch darum, weg von „Aufsichtscharakter und Auflagen zu erfüllen“, hin zu einem mehrwertstiftenden Charakter zu gelangen.

Wie das Thema aus der Perspektive der BaFin wahrgenommen wird, berichtete Dr. Hung Lai. Das Tool Klimastresstest sei in erster Linie dazu angedacht, Transparenz und Awareness zu schaffen. Das 2019 veröffentliche Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken dient hierbei als methodologische Toolbox für das Design und die Kalibrierung zukünftiger Klimastresstests. Lai betonte: „Es fehlt in Klimastresstests und Szenarioanalysen an einer expliziten Berücksichtigung naturrelevanter Risiken, wie dem Verlust der Biodiversität, sowie an der Berücksichtigung von Zweitrunden, Spillover-Effekten und anderen potentiellen indirekten Effekten des Klimawandels.​“

Vertrieb & Kommunikation

Hier haben zunächst zwei Kollegen, die schon viele Jahre Erfahrung beim Thema Nachhaltigkeit haben, ihr Wissen geteilt. Matthias Francke (framtid) ging darauf ein, wie die Ansprache nachhaltig orientierter Menschen gelingen kann. Er betonte, dass es wichtig sei, sich als Vermittler zunächst einmal Gedanken zu machen, wie man selbst und die Kollegen bzw. Mitarbeitenden zum Thema Nachhaltigkeit stehen. Er gab praktische Tipps, mit welchen persönlichen Fragen und gesellschaftlichen Denkanstößen ein Gespräch zu Nachhaltigkeit mit der Kundschaft schnell in Gang kommt. Wichtig sei, sich als Vermittler immer weiterzubilden und zu informieren.

Auch Frederik Waller von bessergrün betonte in seinem Impuls, wie wichtig es ist, sich als Vermittler weiterzuentwickeln. Zum Beispiel mit nachhaltigen Leistungen, die Kunden nicht erwarten. Er legte dar, wie das Thema auch emotional verknüpft werden kann, betonte aber auch, dass Authentizität bei der eigenen Einstellung zu Nachhaltigkeit wichtig ist. „Der Kunde spürt es, wenn es nicht ehrlich ist.“ Zudem gab er den Anstoß, nicht nur an Klimaschutz und den CO2-Ausstoß zu denken, sondern auch an Gesundheit, Ernährung und Achtsamkeit als Teil von Nachhaltigkeit.

In der zweiten Runde gab es weitere Einblicke, unter anderem von Klaus Möller vom Defino Institut für Finanznorm. Er berichtete, wie eine Norm entsteht und wie die DIN-Norm 77230 zwischen regulatorischen Anforderungen und möglichst einfacher Ausgestaltung erarbeitet wurde.

Dr. Burghard-Orgwin Kaske stellte im Anschluss die Vision von die Bayerische vor und zeigte konkrete Maßnahmen auf, wie die ESG-Kriterien unternehmensweit bereits umgesetzt werden: Zum Beispiel die Kompensation von CO2-Emissionen des Innendienstes und des Exklusivvertriebs sowie die Beteiligung an einer Plattform, um soziales Engagement der Mitarbeiter zu fördern. Mit der Marke Pangaea Life hat der Versicherer eine eigene Produktwelt zum Thema Nachhaltigkeit und versucht hier u. a. mit einer digitalen Reise, die Investments für die Kunden erlebbar zu machen.

Jörg Riccius von der Allianz Jörg Riccius e.K. Generalvertretung nahm die Teilnehmer dann mit auf seinen Weg zum nachhaltigen Vermittlervertrieb. Er zeigte, dass sich die Allianz zum einen als Vorreiter im Bereich Nachhaltigkeit sieht, andererseits aber noch nicht alle Vermittler – auch durch Unsicherheiten – in ihrem Beratungsalltag so weit sind, Nachhaltigkeit zu integrieren. Jedoch treiben die Kunden das Thema voran. Er zeigte, wie man auch mit kleinen Schritten den Weg zu einem nachhaltigen Vermittlerbetrieb beginnen kann.

Ist die Branche Triebfeder nachhaltiger Transformation?

Zum Abschluss des fachlichen Teils am ersten Veranstaltungstag stellte Karsten Löffler von der Frankfurt School of Finance & Management in seiner Keynote vor, warum die Versicherungsbranche für ihn der Transformationsagent für nachhaltige Entwicklung ist. Außerdem beleuchtete er die Notwendigkeit der Entwicklung von Methoden und Instrumenten zur Messung von klima-, nachhaltigkeitsbezogenen- und wirkungsorientierten Risiken. Schließlich betont Karsten Löffler noch einmal, wie wichtig die „can-do“-Mentalität für die Branche im Zusammenhang mit dem Thema Nachhaltigkeit ist: „Die Versicherungsindustrie ist prädestiniert, diese Transformation in die DNA ihrer Unternehmen aufzunehmen.“

 

Sie möchten Teil des Centers for Sustainable Insurance (CSI) werden? Dann geht es hier zur Anmeldung!

 

In der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Karsten Löffler, Regine Richter (Urgewald e.V.), Dr. Wolfgang Eichert (Verband öffentlicher Versicherer e.V.), Dr. Marco Henkel (BaFin) und Dr. Udo Riese (Allianz Investment Management) gemeinsam mit Moderatorin Yvonne Zwick (B.A.U.M. e.V.) die Frage, ob die Versicherungsbranche bereits Triebfeder der nachhaltigen Transformation ist.

Netzwerken & Sustainable Rockstar Award für Start-ups

Neben dem fachlichen Austausch kam auch das Netzwerken nicht zu kurz: beim Business-Speed-Networking, in der Kaffee- und Mittagspause sowie bei der gemeinsamen Abendveranstaltung, bei der das Start-up MAS green ideas zum „Sustainable Rockstar 2022“ gekürt wurde. Mit dem zukunftsweisenden Produkt „SustaAInable with AI“ setzte sich das Team gegen fünf weitere Start-ups durch. Auf der Sustainable Insurance Convention hatten die Start-ups ESGendium, MAS green ideas, payactive, Preventio, extrazwei und purposed ihre Ideen dem Publikum und der Fachjury vorgestellt.

Der zweite Konferenztag startete mit einem Branchenvorreiter bei Nachhaltigkeit: Die Zurich hat sich vergangenes Jahr zur Aufgabe gemacht, in Zukunft eines der nachhaltigsten und verantwortungsvollsten Unternehmen der Welt zu sein. In ihrer Keynote sagte Monika Schulze, dass Nachhaltigkeit und Profitabilität miteinander vereinbar seien. Jedes Unternehmen benötige einen konkreten Plan zu Nachhaltigkeit – und müsse mit anderen zusammenarbeiten, um Kräfte zu bündeln. Sie betonte, dass alle Maßnahmen im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens eine entscheidende Rolle spielen – nicht nur nachhaltige Versicherungsprodukte. Ihr Tipp an die Teilnehmenden der Convention: „Lassen Sie sich nicht von Regularien beeinflussen, sondern gehen Sie positiv an das Thema Nachhaltigkeit heran.“

Nach einem Business-Speed-Networking ging es dann in den konkreten Austausch bei Workshops, World Cafés und Brainstormings in den Fachforen. So wurde unter anderem über das Nachhaltigkeitsreporting gesprochen. Hier zeigten die Diskussionen, dass das Reporting nicht nur als lästige Pflicht des Gesetzgebers angesehen wird, sondern echte positive Effekte für eine nachhaltigere Ausrichtung erwartet werden. Was aber auch deutlich wurde: Das Thema Reporting ist nicht nur dringlich, sondern ebenso komplex und organisatorisch, prozessual und technisch nicht zu unterschätzen. Daher hieß es: „Jetzt anfangen, auch wenn die CSRD erst 2025 (für 2024) relevant sein wird.“

Bei der letzten Keynote gab Catherine Hock vom Internationalen Verband der Genossenschafts- und Gegenseitigkeitsversicherer ICMIF einen Einblick in die Arbeit des globalen Netzwerks zur Förderung der Nachhaltigkeitsagenda. Ziel ist es, die SDGs konkret und gemeinsam umzusetzen. Dazu gibt es zum Beispiel regelmäßige Treffen unter den Mitgliedern. Innerhalb der Branche sieht Catherine Hock die Versicherer in Kanada, Argentinien und Schweden als Vorreiter.

„Ich bin begeistert von den vielen spannenden Inputs und Initiativen und beseelt über das Engagement und die Leidenschaft, mit der die 200 Teilnehmer das Thema Nachhaltigkeit in Versicherungen vorantreiben“, sagte Justus Lücke, Geschäftsführer der Versicherungsforen zum Abschluss der ersten Sustainable Insurance Convention.

Für Eva-Maria Ringel, fachliche Leiterin der Veranstaltung, war die Regulatorik das Fokusthema der Veranstaltung: „Es ist das Top-Thema.  Aber es gab auch Konsens, dass die Branche den Mut haben muss, auszuprobieren, eigene Ziele zu setzen und sich nicht nur von der Regulatorik leiten lassen sollte.“

Die zweite fachliche Leiterin, Maria Pechan, betonte: „Greenwashing ist nach wie vor ein wichtiges Thema, das die Branche weiter beschäftigen wird. Das zeigen auch die aktuellen Greenwashing-Vorwürfe gegen die Deutsche-Bank-Fondstochter DWS.“

Für die Zukunft sehen die beiden Nachhaltigkeitsexpertinnen auch die Themen soziale Nachhaltigkeit, den Changeprozess im gesamten Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit sowie die anspruchsvolle Rolle des Chief Sustainability Officer weiter in den Fokus rücken.

Wir bedanken uns bei allen Referentinnen, Referenten und Teilnehmenden für den fachlichen Input und inspirierenden Austausch sowie unseren Ausstellern und Partnern: Q_PERIOR, plenum, PPI, ServiceNow, fileee, team79, AAA Auctor Actor Advisor, Meyerthole Siems Kohlruss Gesellschaft für aktuarielle Beratung, Sopra Steria Next, Brockhaus, Deloitte und SkenData!

Die nächste Sustainable Insurance Convention findet am 28. Februar und 1. März 2023 in Leipzig statt.