Zukunftsweg Embedded Insurance: Der radikale Verzicht auf die Kundenschnittstelle als Erfolgsfaktor

Wir haben mit Michaela Zöppel, COO bei ZERO Insurance, über embedded insurance und die Rolle von Versicherern in Ökosystemen gesprochen.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Strategie & Innovation
Themen:
Ökosystem Embedded Insurance
Zukunftsweg Embedded Insurance:  Der radikale Verzicht auf die Kundenschnittstelle als Erfolgsfaktor

2022 wurde das InsurTech ZERO gegründet. Das Start-up aus Leipzig hat das Ziel, Europas führender Insurance-as-a-Service-Anbieter zu werden. Von der "eingebetteten zur symbiotischen Versicherung" lautet die Vision des Unternehmens.  

Wir haben mit Michaela Zöppel, COO bei ZERO Insurance, über embedded insurance und die Rolle von Versicherern in Ökosystemen gesprochen. Im Interview erfahren wir, warum es nicht vermeidbar ist, dass Versicherer die alten Wege verlassen und auf die Kundenschnittstelle verzichten. Zudem erläutert sie, was es für ein funktionierendes Ökosystem braucht, wie schnell sich ein solches umsetzen lässt und warum man sich dieser Entwicklung mit Blick auf die Kundenbedürfnisse nicht verschließen kann. 

Hinweis: Michaela Zöppel wird am 28. September zu unserem Partnerfestival we.Xplore einen Impuls in unserer Storytelling Lounge geben. Treffen Sie die Expertin und viele weitere spannende Köpfe aus der Versicherungsbranche vor Ort. 

Du begleitest die Versicherungswirtschaft schon seit einigen Jahren und warst in technologiegetriebenen und innovativen Unternehmen wie wefox und FinTechSystems tätig. Was denkst du: Wie werden Versicherungen in Zukunft verkauft? Was wird sich verändern müssen? 

Die Branche erklärt seit Jahrzehnten, dass sich Kunden nicht mit Versicherungen beschäftigen wollen und der Vertrieb daher proaktiv, persönlich und überzeugend sein muss. Ich glaube, dass man hier die falsche Konsequenz gezogen hat. Kunden wollen sich schon mittels Versicherungen absichern, jedoch nicht mehr über die üblichen Wege – losgelöst vom Risiko, komplex und zeitraubend. Die Kunden wollen Produkte verstehen und selbstbestimmte Entscheidungen treffen, sie wollen digitale Kauferlebnisse und komplette Flexibilität.  

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Zukunft der Versicherung in digitale Plattformen integriert (embedded) und situativ ist. Und dass dies auch für komplexe Versicherungsprodukte möglich ist. Das funktioniert jedoch nicht mit den klassischen Versicherungsprodukten, die ursprünglich für den Offline-Vertrieb konzipiert wurden. Digitale Vertriebswege benötigen eigene Versicherungsprodukte, die eben nicht noch zusätzlich den Maklern und Agenten schmecken müssen.  

Mit ZERO setzen wir genau hier an: Mit unseren Partnern bauen wir völlig neuartige Versicherungsprodukte, die nahtlos in die Produkt- und Serviceangebote digitaler Plattformen integrierbar sind. Der Fokus liegt für uns dabei auf der Innovation im Produktmanagement. Wir passen also nicht den digitalen Prozess an, um ein bestehendes Produkt zu vertreiben, sondern wir bauen neue Produkte für bestehende Prozesse. Alle Produkte werden konsequent aus der Kundenperspektive gedacht. Welche Absicherung wünschen sich die Kundinnen und Kunden genau? Welche Laufzeiten braucht es? Versteht man das Produkt ohne einen zusätzlichen Experten? Wie kann der Claims-Prozess so schlank wie möglich aufgesetzt werden und welche Konsequenz hat dies für das Versicherungsprodukt? Diesen Wechsel der Perspektive braucht es, um zukunftsfähig zu sein.  

Du hast es gerade schon erwähnt. Im August letzten Jahres hast du „ZERO Insurance“ gegründet. Ein Start-up mit Sitz in Leipzig. Eure Mission ist es, Versicherungen für die digitale Welt neu zu erfinden. Was braucht denn eine Versicherung heute, um im digitalen Raum erfolgreich zu sein?

Eine entscheidende Komponente, die ich bereits erwähnt habe, ist der Mut im Produktmanagement. Ich bin fest davon überzeugt, dass es für Versicherungsunternehmen äußerst wichtig ist, ihre versicherungstechnischen Modellierungen und Kalkulationen an die User Journeys der digitalen Welt anzupassen. Für uns ist es beispielsweise von größter Bedeutung, dass Benutzer keine einzige Antragsfrage beantworten müssen. Für die Kalkulation nutzen wir ausschließlich Datenpunkte, die unserer Partner-Plattform bereits zur Verfügung stehen. Dafür benötigen wir Aktuare, die innovativ denken und neue Ansätze finden können. Ebenso wichtig ist es jedoch auch, Betriebs- und Schadenprozesse bereits bei der Produktentwicklung zu berücksichtigen. Embedded Insurance ist nur dann wirklich erfolgreich, wenn sowohl der Vertrieb als auch die Verwaltung des Versicherungsprodukts über die Plattform erfolgen und die Benutzererfahrung gleichermaßen gut ist. Ein Produkt ist nicht gut gestaltet, wenn Kunden im Schadenfall ein Online-Formular mit 50 Fragen beantworten müssen. Dies muss bei der Produktentwicklung ganzheitlich bedacht werden.  

Der zweite Punkt ist eng mit dem Produktmanagement verknüpft. In der üblichen Form von Embedded Insurance gibt es einen wesentlichen Knackpunkt: es braucht weiterhin einen separaten Versicherungsvertrag, der vom Kunden in einer zusätzlichen Antragsstrecke erworben wird. Was wäre jetzt aber, wenn das Hauptprodukt der Partner-Plattform die Versicherungskomponente bereits einfach enthält? Kunden würden also nicht mehr losgelöst vom eigentlichen Risiko durch ihren Makler gefragt, ob man etwas absichern möchte, sondern haben die Wahl zwischen Hauptprodukt mit oder ohne Absicherung. Das Modell ist per se nicht neu: Visa hat eine Reiseversicherung bei den Kreditkarten integriert oder der Deutsche Alpenverein eine Unfallversicherung. Das Prinzip kann aber für den digitalen Raum auch auf komplexe Versicherungsprodukte erweitert werden und somit Versicherung in ein völlig neues Licht rücken. Der Ansatz funktioniert bei vielfältigen digitalen Plattformen: Online-Bankkonten mit integriertem Einkommensschutz, Health-Tracking-Apps mit Gesundheitsservices oder Immobilienfinanzierungen inklusive „Unerkannter-Mängel-Versicherung“. Wir bei ZERO nennen das liebevoll „Symbiotic Insurance“ oder auch „The Better Embedded“, weil es eben eine vollständige Verschmelzung von Hauptprodukt und Versicherungskomponente ist und so ersteres aufwertet. 

Ein letzter Erfolgsfaktor ist für mich der radikale Verzicht auf die Kundenschnittstelle. Das ist natürlich jetzt sehr spezifisch für Embedded Insurance, aber in meinen Augen scheitern viele Projekte daran, dass der Versicherer am Ende den Kontakt zum Kunden sucht, z. B. für Cross-Selling Kampagnen. Dadurch werden Prozesse auch dementsprechend implementiert. Da werden Kunden bei Vertragsabschluss über einen Deep-Link zum Versicherer geleitet, Policen werden postalisch nach Hause versendet oder für Schadenmeldungen müssen Kunden in ein Portal des Versicherers gehen. Alle Prozesse, die außerhalb der Partner-Plattform stattfinden, stören aber die User Experience der Kunden und sind somit auch ein Störfaktor für die Plattform. Man muss verstehen, dass die Kunden den Kauf und die Verwaltung von Zusatzservices (und genau das ist das Versicherungsprodukt bei Embedded Insurance) über die gleiche Schnittstelle wie das Hauptprodukt haben wollen. In diesem digitalen Vertriebskanal ist also Zurückhaltung gefragt, man ist Produktgeber und Service Provider. Und wenn man dies verinnerlicht, kann man integrierte Versicherungslösungen bauen, die Kunden wirklich begeistern.  

Auf LinkedIn hattet ihr vor kurzem einen spannenden Use Case zur Arbeitskraftabsicherung als integriertes Versicherungsprodukt vorgestellt. Kannst du uns einen Einblick geben, in welchen Bereichen ihr aktiv seid bzw. auf welche Bereiche ihr euch fokussiert? 

ZERO Insurance fokussiert sich auf vier verschiedene Lebenswelten bzw. Ökosysteme: Finanzen & Vermögen, Wohnen, Gesundheit und B-2-B-Dienstleistungen. Für Embedded Insurance generell sind natürlich noch weitere Lebenswelten interessant, z.B. Mobilität oder Reisen. Da es hier aber schon tolle Ansätze gibt und wir uns auf die komplexen Versicherungsprodukte konzentrieren wollen, sind dies unsere Kernbereiche.  

Für ZERO Insurance als Technologiepartner ist Partnermanagement sicherlich essenziell. Welche Akteure braucht ihr, um einen solchen Use Case umzusetzen? Und wie geht ihr bei der Umsetzung vor?   

Grundsätzlich braucht es für unsere Use Cases immer drei Partner: die Plattform, ZERO als Assekuradeur und Infrastruktur-Dienstleister sowie einen Risikoträger. Die genaue Umsetzung ist von Case zu Case ein wenig unterschiedlich.  

Mit unseren bestehenden Versicherungsprodukten gehen wir auf Plattformen zu, für deren Produkte und Dienstleistungen unsere Lösungen eine perfekte Ergänzung wären. Hier liegt der Fokus der Zusammenarbeit auf der gemeinsamen Entwicklung des Premium-Angebotes inkl. der dazugehörigen User Journeys. Da unsere Partner im Allgemeinen keine Versicherungsexpertise haben, stellen wir ihnen einen Produktmanager zur Seite, der bei Konzeption und Integration unterstützt. Dieser Teil ist essenziell, da er die Zeit zur Markteinführung drastisch auf drei bis vier Wochen verkürzt. In diesem Fall muss technisch auch nichts mehr bei ZERO oder dem Risikoträger entwickelt werden, da die komplette Infrastruktur bereits vorhanden ist.  

Es kommen aber auch Plattformen mit ihren eigenen Ideen auf uns zu. Nach einem kurzen Sparring über Machbarkeit und Ausgestaltungsmöglichkeiten mit unseren Aktuaren machen wir uns auf die Suche nach einem geeigneten Risikoträger für diesen Case. Logischerweise ist die Zeit bis zur Markteinführung hier etwas länger, da parallel zum Plattform-Konzept noch die Versicherungskomponente entwickelt und freigegeben werden muss. Zudem müssen wir noch die Infrastruktur zum Risikoträger bauen. Insgesamt dauert ein solcher Case eher zwei bis drei Monate, je nach Komplexität des Versicherungsproduktes.  

Wir hatten aber auch schon den Fall, dass Plattform und Risikoträger gemeinsam mit einer Idee auf uns zugekommen sind. Da meist schon viel Vorarbeit geleistet wurde, können wir auch hier ein zügiges Time-to-Market realisieren. Der Fokus liegt dann auf dem Ausbau der Infrastruktur durch ZERO.  

In einer vernetzen Wirtschaftswelt sind alle Akteure permanent auf Partnersuche. Was müssen Versicherer (aber auch andere Unternehmen) bieten, um nicht Gefahr zu laufen, dass sie „vereinsamen“?  

Wir als Assekuradeur sind ja eine Art Bindeglied zwischen der „New Economy“ und traditionellen Versicherern. Wille zur Kooperation und Leidenschaft für Neues sind unserer Erfahrung nach auf beiden Seiten gleich groß. Bei der Umsetzung gemeinsamer Projekte fällt aber schnell auf, dass sich die Akteure in ihrer DNA völlig unterscheiden.  

Für digitale Plattformen ist Schnelligkeit wichtiger als Perfektion, sie arbeiten agil, sie verbessern iterativ und probieren Dinge einfach aus, statt sie vorher bis ins letzte Detail zu durchdenken. Auch sind deren Innovations- oder Business-Development-Abteilungen weniger blockiert durch Regulatorik.  

Versicherer hingegen haben eine völlig andere Arbeitsweise. Der Fokus liegt auf Qualität über alle Ebenen hinweg, das Produkt muss perfekt sein. Für die Entwicklung eines neuen Versicherungsproduktes kommen viele Stakeholder zusammen, die aber alle noch in eine Vielzahl anderer Projekte parallel eingebunden sind und sich gar nicht 100-prozentig auf nur dieses eine Thema fokussieren können. Dadurch beträgt ein Produktentwicklungszyklus ca. zwölf bis 18 Monate, viel zu lang für die New Economy, deren durchschnittliche Time-to-Market drei Monate beträgt. Jetzt kann man natürlich debattieren, wer sich wem anpassen muss. Aber am Ende liegt die Priorität auf der Befriedigung von Kundenbedürfnissen. 

Braucht es in der Ökosystem-Ökonomie noch Versicherer, so wie sie heute aufgestellt sind? Wie siehst du deren künftige Rolle?  

Im Wesentlichen gibt es in der Plattformökonomie für Versicherer nur drei mögliche Strategien: Alles bleibt beim Alten, die Wandlung zum Plattform-Orchestrator und die Reduzierung auf den Produktgeber (oder gar nur Risikoträger). Wir hätten ZERO nicht in der Form gegründet, wenn wir an die Zukunftsfähigkeit der ersten beiden Strategien glauben würden.  

Plattformen gewinnen für Kunden immer mehr an Relevanz. Experten rechnen damit, dass im Jahr 2025 ca. 30 Prozent der weltweiten Umsätze über Plattformen generiert werden, Tendenz stark steigend. Der Grund dafür ist simpel: Die angebotenen Produkte und Dienstleistungen decken immer größere Bereiche der Kundenbedürfnisse ab und somit steigt deren Bequemlichkeit, das A und O für die Generationen an digital natives.  

Und mit dieser Kundenrelevanz und -bindung im Rücken suchen Plattformen jetzt Partner, die für sie schnell individuelle und situative Versicherungslösungen bauen. Wir haben in der Vergangenheit bereits gesehen, wie radikal große Plattformen hier sein können. Partner werden innerhalb kürzester Zeit ausgetauscht oder gleich ein eigener Versicherer gegründet, wenn Leistung und Schnelligkeit der Partner nicht stimmen. Das heißt im Umkehrschluss: Es braucht erfahrene Produktgeber, deren Kerngeschäft es ist, digitale Versicherungsprodukte und Services über technisch hoch-performante Schnittstellen zur Verfügung zu stellen. Das wird ein massiver Stretch für viele Versicherungsunternehmen und daher braucht es die bewusste Entscheidung des Unternehmens, diese Strategie langfristig zu verfolgen.